Im Banne der historischen Science-Fiction

GLAMOUR Janelle Monáe begeistert bei ihrem Deutschlandkonzert mit dem neuen Album „The Electric Lady“ im ausverkauften Kölner Stadtgarten

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Die „Electric Lady“ lässt auf sich warten. Über eine Stunde nach dem angekündigten Beginn ist die Luft im Kölner Stadtgarten heiß und stickig. Der DJ spielt einen neuen Track, aus dem Publikum kommen die ersten Buhrufe und dann steht plötzlich ein Conferencier auf der Bühne. „Hot in here“, bemerkt er und legt das Jackett ab, um in Fliege und Hemd die Ansage zu machen: „Ich sage ‚Janelle‘, ihr sagt ‚Monáe‘“.

Kurz darauf stürmen die Herren Musiker in weißen Hemden die Bühne, die Sängerinnen im schwarz-weiß gestreiften Outfit mit passendem Bop. Schließlich Janelle Monáe selbst: 27 Jahre alt, die Haare zu einer fünfziger-Jahre-Tolle aufgetürmt, das Hemd weiß und kurzärmelig, darüber Hosenträger.

Sie ist die „Electric Lady“, der „Archandroid“ – eine androgyne Verdichtung von 50 Jahren Popmusik. Und sie beginnt ihr Set mit „Give’em what they love“ – dem Song, für dessen Aufnahme sich Prince zu einem seiner seltenen Gastauftritte überreden ließ.

Langsam baut sich der Beat auf, die Gitarre zerstäubt sägend im Nirgendwo und darüber steigert sich Monáe in einen Dialog mit ihren starken Backgroundsängerinnen.

Soulqueen der Herzen

Was die 400 Menschen im ausverkauften Konzertsaal lieben, daran besteht kein Zweifel: Es ist Monáe selbst. Egal, ob sie mit dem Mikroständer wirbelt, auf dem Schlagzeugpodest tanzt oder die Hände an die Ohren legt, während sie die Augen aufreißt, immer folgen Jubelrufe. Und selbst als sie bei „Q.U.E.E.N.“ die Zeile „The Booty don’t lie“ eher hechelt als singt, bleiben die Buhrufe Geschichte.

Janelle Monáe als Soulqueen der Herzen – so ändern sich die Zeiten. Als die US-Künstlerin mit ihrem Debütalbum vor drei Jahren in Köln auftrat, waren die Reaktionen verhalten. Zu perfektionistisch, zu unnahbar, hieß es damals. Daran hat die Sängerin aus Atlanta gearbeitet. Die perfekte Choreographie ist geblieben, aber sie dient nicht mehr dazu, Monáe als distanzierten Cyborg zu stilisieren, sondern als Sängerin von nebenan. Kein Moment bleibt dem Zufall überlassen. „Diesen Song habe ich für dich mit der Brille geschrieben, für dich mit dem weißen T-Shirt“, spricht sie ihr Publikum an, bevor sie schließlich in „Cold War“ übergeht, ihrer Hymne auf Einsamkeit und Rückzug als Waffen der Vernunft.

Um diese Nahbarkeit herzustellen, bedient sich Monáe im Supermarkt der Popgeschichte. Ähnlich wie im Video zu „Hey Ya“ ihrer Freunde Outkast springt sie von Subjektposition zu Subjektposition. Mal ist sie die makellos unbekümmerte Performerin aus einer Motown-Girlgroup der Sechziger, ein anderes Mal füllt sie den Bühnenraum aus wie James Brown in seinen besten Zeiten. Und schließlich wagt sie sich sogar an eine Coverversion von Michael Jackson. Routiniert spielt sie sich durch „I want you back“ von den Jackson 5, der Geschwisterband, die wie keine zweite die Entbehrungen, Qualen und Zerüttungen des Aufstiegs von Afro-Amerikanern auf den Thron der Kulturindustrie verkörpern.

Surrealer Afrofuturismus

Diese Geschichte kennt Janelle Monáe aus eigener Anschauung. In einem Arbeiterklassenviertel von Kansas City geboren, konnte ihre Mutter die Studiengebühren für die Musikhochschule in New York kaum aufbringen. Monáe studierte trotzdem Musik und Tanz, zog nach dem Studium nach Atlanta.

Hier, im Umfeld von Outkast und den HipHop-Spielarten Crunk und Trap, entwickelte sie ihre Kunstfigur, eine von den Surrealisten inspirierte Künstlerin, und ihr Mensch-Maschinen-Alter Ego Cindi Mayweather. Mit ihr schreibt sich Monáe in die lange Geschichte des Afrofuturismus eins: Ihre Stellung als schwarze Frau, als „Alien“, in der US-Gesellschaft wird zu Science Fiction. Nur, dass die Science Fiction von Janelle Monáe selbst ebenfalls längst historisch ist.

„George Clinton steckt in allem, was ich tue“, sagt sie im Interview. Clinton, der große Bandleader, der auf dem Album „Mothership Connection“ seiner Band Parliamentaus aus dem inneren eines Ufos winkt, wirkt bei Monáes Konzert Köln wie ein Geist Hintergrund mit. Seine Handschrift steckt in Bassläufen, in flattrigen Synthesizern und psychedelischen Neon-Sounds. Er wird gerade dort hörbar, wo er nicht direkt zitiert wird. Aber im Gegensatz zu Clintons Band Parliament schlägt Janelle Monáe keine Haken auf ihrer Reise durch die Zukunft und verirrt sich nicht in den Entwürfen der Vergangenheit.

Stattdessen perfektioniert sie die Referenzperformance im Spiel mit ihrem Publikum, dort wo 2013 die Assets, die Gewinne erfolgreicher Popstars liegen. Eine ungeplante Zukunft stünde dabei nur im Weg.