: RAF-Königinnen ganz privat
Vom Bürgerlichen und seinen Falschheiten: Das Thalia Theater stellt seine kommende Spielzeit vor
Thomas Bernhard ist wenigstens ehrlich: Er benennt ihn ganz direkt, den Versuch, bürgerliche Prägung aus der eigenen Biographie zu tilgen: Als programmatisch empfindet Ulrich Khuon, Intendant des Thalia-Theaters, dass Bernhards „Auslöschung“ zur Eröffnung der Spielzeit 2006/07 die Facetten von Bürgerlichkeit durchleuchten wird – einschließlich ihrer Instrumentalisierung. Pseudo-Familiensehnsucht nennt Khuon etwa die aktuelle Kinder-Diskussion. Sie entspringe „allein der Erkenntnis, dass die sozialen Systeme zusammenbrechen“, sagt er, „und keiner echten Rückbesinnung auf bürgerliche Werte“. Heuchelei, findet Khuon, solle da den eigentlich erforderlichen Pragmatismus kaschieren.
Ein Muster, das sich auch in Molières „Tartuffe“ findet, das Dimiter Gotscheff inszenieren wird und dessen Tugend-Scharade erstaunlich lange trägt. Er beobachte, erklärt Khuon, „dass der Mensch zwischen der Sehnsucht nach Sicherheit und der Lust auf Ausbrüche changiert; beides sind Varianten bürgerlicher Existenz“.
Beispiele mögen Stücke im kommenden Thalia-Programm sein wie die „Gefährlichen Liebschaften“, die sich – das versichert Dramaturgin Sonja Anders glaubhaft – „im Laufe des Abends von der Schmonzette in eine kritische Betrachtung jenes Prozesses wandeln, in dessen Verlauf zwei Intriganten in ihre eigenen Fallen stürzen“. Ein der leichteren Muse zugewandtes Publikum dürfte das Stück allemal anziehen – und damit ein anderes als Elfriede Jelineks „Ulrike Maria Stuart“, das Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin als kämpfende Königinnen in den Ring schickt. Erklärt die Autorin auch gern, ein Regisseur brauche nur einen Satz ihrer Werke zu inszenieren, wird das Stück, das Ende Oktober auf die Thalia-Bühne kommt, eine größere Zahl oszillierender Identitäten enthalten, mit denen Jelinek ihre Figuren so gern versieht.
Warum später auch noch Schillers „Maria Stuart“ inszeniert werden muss, erschließt sich da schwer: Hat das Thalia sich dem Publikum gegenüber verpflichtet gefühlt, zum Trost das Original nachzuschieben? Wurde an Schulklassen und ihren Lektürekanon gedacht? Möglich, zumal sich auch Arthur Millers „Hexenjagd“ im nächsten Spielplan findet, das immerhin dadurch legitimiert wird, dass der verhandelte Fundamentalismus im Kleinen einen Beitrag zur derzeitigen Extremismus-Diskussion liefern mag.
Gekrönt wird die Spielzeit von Ingmar Bergmans „Aus dem Leben der Marionetten“: Die Geschichte jenes bizarren Mordes, den jeder ein bisschen begangen haben könnte. PETRA SCHELLEN