: Pleiten, Pech & Pedaleure
„Mühseliges Gehacke“: Im internationalen Radsport tobt ein Machtkampf, an dessen Ende das Aus für die noch junge Pro Tour stehen könnte. Oder auch nicht. Die Fahrer jedenfalls sind „nur genervt“
VON MARKUS VÖLKER
Am liebsten würde Jens Voigt einfach seine Rennen fahren, wie zuletzt in Spanien bei der Baskenland-Rundfahrt. Der Radprofi blickt aber nicht nur stur auf den Pneu seines Vordermannes oder studiert die Tiefe der Schlaglöcher auf europäischen Pisten, nein, er macht sich bisweilen Gedanken über die Globalisierung seines Sports. Wie geht es weiter mit den Profiradlern? Wie kann die Branche expandieren? Wie steht es um die Marke Radsport? Voigt, 34, ist Sprecher der Fahrergewerkschaft CPA. Und in einer Arbeitsgruppe des Weltverbandes UCI sitzt der Berliner auch. Er ist Pedaleur – und ein bisschen Funktionär. Eine Frage treibt ihn schon seit Wochen um: Was wird aus der Pro Tour? „Ein großer Wurf muss her“, fordert der Angestellte des dänischen Rennstalls CSC.
Der Golfsport hat seine PGA-Serie. Die Tennisprofis spielen auf der ATP-Tour. Und der Radsport hat seit der Vorsaison die Marke Pro Tour eingeführt. In der Serie sind die prestigeträchtigsten Rennen des Radsports zusammengefasst. Bei den Golfern und Tennisspielern haben sich die Fans mit den kryptischen Kürzeln längst vertraut gemacht. Im Radsport ist das anders. Kaum einer weiß etwas mit der Pro Tour anzufangen – und wenn doch, dann ist ihm das Kunstprodukt ziemlich egal. Das Image der Tour de France überstrahlt alles. „Die Tour gibt uns ein Bild in der Welt, auf ihrer Bühne bewegen wir uns“, sagt Jens Voigt, „die Tour sitzt ganz oben im Sattel, auf der Spitze vom Berg.“
Der Wanderzirkus Pro Tour hat längst nicht diesen Bekanntheitsgrad, im Vordergrund stehen die klangvollen Namen der Landesrundfahrten und der Frühjahrsklassiker, wie am Sonntag der Ausflug des Pelotons von Paris nach Roubaix, ein legendärer Ritt über Kopfsteinpflaster und durch verdreckte Engpässe, den der Schweizer Fabian Cancellara mit deutlichem Vorsprung gewann.
„Die Pro Tour wird in der Öffentlichkeit überhaupt noch nicht wahrgenommen, das braucht mindestens noch zehn Jahre“, sagt Michael Hinz, Veranstalter des Eintagesrennens Cyclassics in Hamburg und der Deutschland-Tour, beides Rennen der Pro Tour. „Noch fragen sich viele Außenstehende, was dieses Logo überhaupt bedeutet. Es gibt noch viel Erklärungsbedarf“, sagt Michael Hinz über das Erscheinungsbild der jungen Rennserie.
Hier liegt das Problem. Deswegen streitet die Tour de France mit dem Weltverband. Es geht um Geld, Einfluss und Eitelkeiten. Warum sollte die Tour de France, besser: die Amaury Sport Organisation (ASO), die neben der Frankreich-Rundfahrt auch Lüttich–Bastogne–Lüttich, Paris–Nizza oder den Wallonischen Pfeil veranstaltet, warum sollte die ASO ihre Marken dem Weltverband überlassen, wo sie doch im Verbund mit dem Giro d’Italia und der Spanien-Rundfahrt eine eigene Rennserie etablieren könnte? Genau dies hat das mächtige Trio im Dezember des vergangenen Jahres getan. Das heißt: Die ASO und ihre Adlati haben mit einem solchen Szenario gedroht. Der Weltverband UCI reagierte entsprechend nervös. Man sprach von einer „radikalen Haltung“ und davon, dass die Installierung einer konkurrierenden Grand-Tour-Serie „obszön“ sei.
Die Aufregung ist verständlich: Würden sich die Rundfahrten von der Pro Tour trennen, bliebe nicht viel übrig vom UCI-Konstrukt. Es wäre schlichtweg am Ende. Ein Verbot des ASO-Unterfangens folgte denn auch umgehend. Nun fühlte sich sogar IOC-Präsident Jacques Rogge zum Eingreifen berufen. Man möge doch bitte die Probleme „in positiver Weise“ und „im Interesse des Radsports“ lösen.
Bisher ist die Sache so geregelt, dass in der Pro Tour zwanzig Teams fahren; sie sind bis 2008 gesetzt. Die Radgruppen haben einen Vierjahresvertrag unterzeichnet, der ihnen langfristige Planungssicherheit garantiert, überdies recht üppige TV-Übertragungszeiten und somit mehr Geld. Wer drin ist in der Pro Tour, findet sein Auskommen, selbst wenn er über die hohe Belastung der Fahrer schimpft. Wer nicht berücksichtigt wurde, klagt über den geschlossenen Elitezirkel und die mangelnde Flexibilität der UCI. Die „Großen Drei“ plädieren nun für „ein System, das atmet“, und sie wollen mehr denn je ihre eigenen Spielregeln diktieren, da sie es sind, die über die Markenmacht verfügen.
Seit Wochen schwelt der Konflikt. Immerhin redet man wieder miteinander. Die Parteien haben sich im Januar zu Gesprächen am „runden Tisch“ getroffen und kürzlich am Rande der Flandern-Rundfahrt miteinander verhandelt. „Es muss zu einer Lösung kommen, sonst könnte es zu einer Zerrüttung des Radsports kommen“, glaubt Hinz. Und Voigt findet: „Das mühselige Gehacke“ müsse aufhören. „Die müssen ins selbe Boot springen, denn das Sein oder Nichtsein der Pro Tour steht ja schließlich auf dem Spiel.“ Veranstalter Hinz sieht das ähnlich: „Beide Parteien sind aufeinander angewiesen.“
Ein Lösungsmodell könnte so aussehen: Ab 2009 gibt es nur noch 18 statt 20 Topteams. Die Lizenzen werden nur noch für einen Zeitraum von drei Jahren vergeben, und die Organisatoren der 27 Pro-Tour-Rennen dürfen mehr zweitklassige Mannschaften einladen. Es wird auch über Auf- und Abstieg nachgedacht. Eine Fülle von Detailfragen müssen beantwortet werden. Das hat seine Gründe: „Die Pro Tour“, sagt Voigt, „wurde sehr schnell eingeführt, und die wenigsten hatten Zeit, sich richtig darauf einzustellen.“
Die meisten Fahrer interessiert das nur noch wenig. Jens Voigt hat sich umgehört unter den Kollegen. Sein Fazit: „Die sind einfach nur noch genervt.“