: Die Fiction ohne Science
Das Theater Dortmund darf Edward Bonds Zukunfts-Splitter „Wer da ?“ als deutsche Erstaufführung zeigen. Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer bedankt sich mit einer vorsichtigen Inszenierung
AUS DORTMUNDPETER ORTMANN
Dann wirft sich einer ins Wasser.
Damit fing es an.
Platsch - platsch - platsch.
Fünf oder sechs werfen sich hinterher. Andere klettern hoch, um die Lücken zu füllen, die sie hinterlassen haben.
Die im Fluß treiben ab.
Auch in der Zukunft wird Sonntags gearbeitet. Besonders wenn alte Frauen in stinkenden Ruinen nach Nägeln suchen, um dort Landschafts-Bilder aufzuhängen. Dann muss Jams mit dem Sicherheitsdienst raus und eine der „alten Schlampen“ einfangen. So wird es geschehen am 18. Juli 2077. Ab mit dem menschlichen Müll in die Station und verhungern lassen. „Warum das Elend verlängern, alt wie sie ist“, sagt Jams.
Wie immer in Edward Bonds Stücken ist die Zukunft düster. Obwohl die eigentlich keine ist, eher eine mit dem Seziermesser ausgebeinte Gegenwart, die dann nur wie eine Zukunft ausschaut. Das im Theater Dortmund als deutsche Erstaufführung gezeigte Stück „Wer da“ ist da keine Ausnahme. Jams lebt mit seiner Frau Sara in einem genormten Wohn-Container. Zwei Türen, zwei Stühle, ein Tisch. Mehr ist bei der künftigen Regierung nicht erlaubt. Privatbesitz total verboten. „Draußen ist genug Scheiß, der kommt mir nicht ins Haus“, erklärt Jams, der sich mit dem System arrangiert hat, obwohl sich draußen Menschenmassen gemeinsam in Messer stürzen – oder kollektiv von Brückengeländern in den Fluss. „Die Regierung hatte Recht, die Vergangenheit abzuschaffen“ sagt er. Weg damit. Videos, Kassetten, Discos Klamotten, Mode, dot com dot, Junk. Die Menschen waren davon krank. Jetzt seien sie scharf auf Umsiedlung in die Container.
Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer geht in Dortmund sehr vorsichtig an die Inszenierung des staatlich normierten Wahnsinns. Seine Untoten sind eher ein älteres Ehepaar aus dem Heute, das wegen Geldmangel der Regierung erst kurz vor dem Tod seine Rente erhält. Auch die beiden Türen in Eiche rustikal stehen so nicht in Bonds detaillierten Regieanweisungen. Deshalb wirkt der suizidale Irrsinn in Dortmund auch bisweilen steif, die sich häufenden Ausbrüche aufgesetzt. Merkwürdig ist auch die Dramaturgie bei der dritten Person im Spiel. Grit, der vermeintliche Bruder der Hausfrau, bricht die häusliche Zwangs-Lethargie auf, bringt das selbst gestrickte Weltbild zum Wanken. Er ist monatelang vom anderen Ende des Landes durch die rauchende Ruinenlandschaft gewandert, hat kaum geschlafen, nichts gegessen. Dafür sieht er sauber und adrett aus, als er in den Container kommt. Das erinnert fatal an die immer frisch frisierten Stars in Hollywood-Action-Schinken.
Theaterguru Bond hätte das wohl nicht gefallen. In England hat er die Inszenierung seiner Stücke bereits untersagt. „Er sei sehr streng und radikal“, sagt auch seine Übersetzerin Brigitte Landes. Für Bond gehöre das britische Theatersystem zur Unterhaltungsindustrie. Inzwischen schreibt er seine Stücke lieber für das Jugendprogramm „Theatre in Education“. Sie sind kurz und immer nur Splitter einer ungeborenen Zukunft, eben Fiction ohne Science.
25. April, 19:30 UhrInfos: 0231-5027222