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Archiv-Artikel

Die Zeit der Lachse ist vorbei

OST VS. WEST Auch dieses Jahr wieder hat die „Wasser Armee Friedrichshain“ (WAF) die Wasserschlacht auf der Oberbaumbrücke gewonnen. Kein Wunder: Welcher Kreuzberger steht um 12 Uhr auf, um Gemüse zu werfen?

Wer kämpft, zahlt

■ Die Wasser- beziehungsweise Gemüseschlacht zwischen Friedrichshain und Kreuzberg hat schon Tradition: Seit 1998 wird sie – mit Unterbrechungen – sommers auf der Oberbaumbrücke ausgetragen. Während 2009 die Alba AG den Zweikampf sponserte, scheiterte die diesjährige Ausgabe fast daran, dass zu wenig Geld für die anschließende Müllbeseitigung aufgebracht wurde. 2012 hatten einige Piraten zu diesem Zweck in die eigene Tasche gegriffen.

VON JURI STERNBURG

Alles begann mit einem Namensstreit. Weder der schon immer etwas rebellische und nach Hundekot riechende Bezirk auf dem östlichen Ufer der Oberbaumbrücke, noch jener Kiez, der seit Jahrzehnten als Kreuzberg Angst und Schrecken in den Schrebergärten der Republik verbreitet, waren bereit, sich einer simplen Zusammenlegung zu beugen. „Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain“, das klingt so sehr nach Kompromiss, nach gelebtem Bausparvertrag, wer kann das schon gutheißen?

Beide Bezirksteile definieren sich über Lokalpatriotismus, man gefällt sich in der Rolle als Außenseiter. Auf der Westseite gibt es die zum politischen Karneval mutierten Straßenschlachten am 1. Mai, Punker sowie neuerdings jede Menge Spanier, und auch die Friedrichshainer sollen für irgendetwas berühmt sein. Dementsprechend war es mehr als logisch, dass irgendwann in den 90ern (selbst der Autor weiß nicht mehr, wann genau, obwohl er bei der ersten Schlacht zugegen war), beschlossen wurde dass Braveheart nicht das Ende der Fahnenstange sein kann und es geboten sei, die Verhältnisse ein für alle Mal zu klären.

Also beschloss die einzige ernstzunehmende Gruppierung aus Friedrichshain, die WAF (Wasser Armee Friedrichshain) zusammen mit Hauke Stiewe, eine epische Auseinandersetzung der beiden historisch äußerst relevanten Stadtteile anzuzetteln. Stiewe, Direktkandidat der Partei „Die Bergpartei“, der mit griffigen Slogans wie „Bankrott für Alle, Reichtum macht einsam“ um Stimmen wirbt, entsprach damit einem für beide Seiten äußerst ernstzunehmenden Anliegen: Hier geht es nicht um Spaß, die Schlacht ist ausschlaggebend für den Stolz der Duellanten.

Sollte Ihnen der Ton etwas zu seriös vorkommen, verweise ich an dieser Stelle gerne auf Wikipedia. Auch dort lässt sich selbstverständlich die Geschichte der Wasser- bzw. Gemüseschlacht nachlesen, nüchtern beschrieben wie Napoleons Waterloo. „Die als Demonstration angemeldete Gemüseschlacht (auch als Brückenschlacht oder Wasserschlacht bezeichnet) ist eine parodistische Auseinandersetzung mit den diffusen Animositäten der Bewohner der Berliner Ortsteile Kreuzberg und Friedrichshain, die im Rahmen einer Verwaltungsreform Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zusammengefasst worden sind.“

Vorwärts immer

Lokalpatriotismus macht ja keinen Sinn, wenn man gar nicht aus dem Bezirk stammt

Der leicht ironische Unterton ist dabei vollkommen fehl am Platz. Es dürfte ihnen nicht entgangen sein dass mein Herz für den Bezirk aus dem Westen der Stadt schlägt, immerhin bin ich hier geboren. Der Zufall wollte es, dass ich auch noch direkt an der Oberbaumbrücke aufwuchs und hier schon mit Gegenständen schmiss, als dies noch nicht Teil eines Happenings war. Als ich ein kleiner Steppke war, stand dort die Mauer, wir hatten also quasi nichts zu fürchten was in unserem Rücken stand – „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“, lautete die Parole, auch im Westteil der Stadt.

Als die Mauer fiel,wurde aus der verschlafenen Ecke an der Spree plötzlich ein Hauptverkehrsknoten. Auf einmal ermahnten unsere Eltern uns, wir sollten auf die Straße schauen, bevor wir selbige betraten, eine sehr merkwürdige Angewohnheit, wie wir fanden. Schließlich war unsere Straße stets unbefahren, hier konnte man Himmel und Hölle spielen oder mit dem Fahrrad im Kreis fahren.

Aus dieser Perspektive betrachtet ist es nur logisch, dass die Anwohner mittels dieses Gefechts ihren Unmut kundtun. Allerdings ist im Laufe der Jahre ein wenig die Motivation abhanden gekommen: Beim ersten Mal, 1998, flogen zwei Meter große Lachse durch die Gegend, die WAF hatte einen eigenen Panzer gebaut, den die Kreuzberger dann aber kaperten. Tausende Halbbekloppte standen sich mit schmerzverzerrten Mienen gegenüber, die Taschen voller alter Orangenschalen und verfaulter Tomaten, und der Westteil dachte, er habe eine realistische Chance. Im Laufe der Jahre kristallisierte sich relativ schnell heraus, dass dieser Kampf durchgehend von den Veranstaltern gewonnen wird. Jahr um Jahr drängt die Friedrichshainer Fraktion die 36er auf ihr eigenes Gebiet zurück, die ultmative Demütigung für alle Teilnehmer.

Freudetrunken gefeiert

1998 hatte die WAF einen eigenen Panzer gebaut, den die Kreuzberger dann aber kaperten

Noch heute wird von der einzigen Schlacht berichtet, in der die Kreuzberger die Oberhand gewannen. Leider war ich anwesend und muss gestehen: Es war der Tag, an dem die Friedrichshainer dachten, der Kampf finde gar nicht statt. Selbstverständlich hielt uns das nicht davon ab, unseren Sieg ausgiebig zu feiern und freudetrunken durch den feindlichen Bezirk zu stolzieren, die Haare auf Krawall gekämmt.

Inzwischen ist alles ein wenig anders. Die Zuschauer übertreffen inzwischen die Zahl der Aktiven, die Touristen ebenfalls. Das Event steht im Vordergrund, Lokalpatriotismus macht ja keinen Sinn, wenn man gar nicht aus dem Bezirk stammt. Entsprechend mau ist die Motivation, man möchte ein bisschen Spaß haben, wahrer Einsatz und Aufopferung sucht man vergeblich.

Natürlich hat auch dieses Jahr der Osten gesiegt. Der durchschnittliche Kreuzberger ist schließlich viel zu cool, um gegen 12 Uhr aufzustehen und mit Essen um sich zu werfen. Wo kämen wir da hin. Überhaupt wäre diesmal das Ganze wieder fast ins Wasser gefallen, aufgrund von sehr fragwürdigen bürokratischen Hürden, es ging um den schnöden Mammon. Da die Veranstaltung seltsamerweise nicht als Demonstration akzeptiert wurde, benötigte man kurzfristig eine Menge Geld, um die Müllabfuhr zu bezahlen. Überraschenderweise kam dieses Geld sogar zusammen. Höchstwahrscheinlich, wie so oft, als Solidaritätszuschlag aus dem Westen.