: berliner szenen Weltstadt Pankow
Weine bis zum Filmriss
Pankow im 21. Jahrhundert: In der Florastraße hat ein neuer Spätkauf eröffnet. Die „Floraquelle“ gegenüber hatte 2004 zu gemacht. Sein Besitzer, ein schmächtiges Männchen mit glasigen Augen, war selbst sein bester Kunde. In den schmierigen Regalen standen Alkohol und Butterkekse, davor lehnten die Freunde und Verwandten des Besitzers, deren Stütze den Konkurs aber nicht abwenden konnte. Die „Floraquelle“ hatte immer unregelmäßiger geöffnet. Irgendwann versiegte sie ganz.
Vor dem neuen Laden wehen rosarote Luftballons sacht im Wind. „Haben sie Rotwein?“ Franzi und ich drehen uns ratlos im Kreis. Die freundliche Holzeinrichtung lädt zum Kaufen ein. Übersichtlich angeordnet: Chips, Flips, Becks, Berliner usw. Aber kein Wein. Der nette Herr mit Schnurrbart zeigt in eine Ecke. Ganz oben eine einsame Flasche. Das Etikett sieht fremd und beängstigend bunt aus. „Türkischer Wein“, erklärt der nette Herr, „aus meiner Heimat.“ Stolz zeigt er auf die Miniaturlandkarte des Etiketts: „Hier wurde ich geboren.“ Jetzt müssen wir den Wein kaufen. „Macht der Kopfschmerzen?“, frage ich. „Weiß ich nicht“, sagt der Schnurrbärtige und lächelt. „Filmriss?“, witzele ich. Franzi schubst mich und zischt: „Pass doch auf!“ Der nette Herr geht morgen im Großhandel einkaufen, sagt er. Wir sollen aufschreiben, was wir brauchen. Franzi notiert eine Liste internationaler Weine. Er verspricht, alles mitzubringen.
„Hier gehen wir jetzt öfter hin“, sage ich auf der Straße. „Du bist so peinlich“, schimpft Franzi, „der Mann ist bestimmt abstinenter Muslim und du fragst nach Filmrissen.“ Ich schäme mich. Und bin beruhigt: „Dann hält sich der Laden ja vielleicht eine Weile.“ Der Wein war übrigens sehr delikat. LEA STREISAND