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Archiv-Artikel

Wowereit wird Spitzenspieler

Der Rückzug von SPD-Chef Platzeck steigert den Marktwert des Regierenden Bürgermeisters. Viele Talente hat die Bundespartei nicht mehr zu bieten. Dank ihrer schlechten Mannschaftsaufstellung könnte Klaus Wowereit rasch in die erste Liga aufsteigen

VON MATTHIAS LOHRE

Als Matthias Platzeck und Kurt Beck gestern im Willy-Brandt-Haus vor die Kameras traten, hatte Klaus Wowereit die SPD-Zentrale schon seit einer halben Stunde verlassen. In der SPD-Präsidiumssitzung hatte der Regierende Bürgermeister von den Gründen für Platzecks Rücktritt vom Parteivorsitz gehört. Zufrieden war er vermutlich nicht. Denn nicht durch seine GenossInnen, sondern über die Presse hatte er kurz zuvor von der Entscheidung des Parteichefs erfahren. Doch sein Unmut könnte schnell verfliegen: Denn Platzecks Fall könnte Wowereits Aufstieg in die Bundesliga beschleunigen.

Mit Platzecks Rückzug nach Brandenburg zerplatzt die letzte große Hoffnung der gebeutelten Sozialdemokraten. Hinter dem Mann mit den hohen Sympathiewerten offenbart sich eine personelle Lücke. Nun fehlt ein natürlicher SPD-Herausforderer der CDU-Kanzlerin bei der nächsten Bundestagswahl.

Bundesarbeitsminister Franz Müntefering wird aller Voraussicht nach selbst die von ihm beschlossene Rente ab 67 nutzen, seine Ministerkollegen Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier gelten als Technokraten ohne Verankerung in der Partei. Und während Umweltminister Sigmar Gabriel als wenig medienkompatibel gilt, sucht sein Kollege im Verkehrsressort, Leipzigs Exoberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, noch seine Rolle auf Bundesebene. Kurt Beck hingegen hat immer betont, als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz am liebsten sterben zu wollen. Viel Auswahl hat die SPD nicht.

Das weiß auch der seit vier Jahren regierende Wowereit. In den kommenden fünf Monaten tut der 52-Jährige gut daran, auflodernde Gerüchte über Bundes-Ambitionen klein zu halten, ohne sie zu ersticken. Ohne Wiederwahl bei der Abgeordnetenhauswahl im September haben sich ohnehin alle Karrierechancen erübrigt.

Als Spagat zwischen Landes- und Bundesebene lassen sich auch Wowereits gestrige Äußerungen zur dünnen SPD-Personaldecke verstehen: Platzecks Rücktritt bedeute einen „schmerzlichen Verlust“. „Diese Lücke wird nicht so einfach zu schließen sein.“ Der Partei fehle nunmehr ein Politiker, der über die klassische SPD-Klientel hinaus Menschen für sich gewinne. Sigmar Gabriel wird der selbstbewusste Regierungschef damit kaum meinen.

Innerparteilich ist Wowereit sicher kein Wunschkandidat für höhere Weihen. Der Berliner Landesverband ist mit 17.000 Mitgliedern vergleichsweise klein. Selbst Wowereits lupenreine SPD-Parteikarriere vom Bezirksverordneten Ende der Siebzigerjahre zum Regierungschef macht ihn für viele GenossInnen nicht zum Kandidaten der Herzen. Zu befremdlich und kühl wirkt der feierfreudige Berliner auf viele Parteifreunde außerhalb der Hauptstadt.

Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Abgeordnetenhaus, Christian Gaebler, räumt ein: „Wowereit ist derzeit nicht der erste Kandidat“ beim Rennen um die Bundeskanzlerschaft. Doch bis dahin sind es noch drei Jahre.

Wenn die schwarz-rote Koalition im Bund noch einige Zeit hält und Wowereit so lange seinen Konsolidierungskurs fortsetzt, kommt das dem 52-Jährigen entgegen. In Abwandlung eines Wir-sind-Helden-Liedes lässt sich über das stille Abwarten des Tempelhofers sagen: Er ist geblieben, um zu kommen.

Schon seit geraumer Zeit versucht Wowereit, sein „Partymeister“-Image hinter sich zu lassen: Als Sprecher der fünf SPD-regierten Länder im Bundesrat ebenso wie als Mitglied der Föderalismuskommission von Bundesrat und Bundestag. Als Regierungschef ist er redeberechtigtes Mitglied des SPD-Präsidiums – und damit nahe dran, wenn in der Partei Wichtiges entschieden wird. Dass er durch die Presse von Platzecks Rücktritt erfuhr, offenbart jedoch: Es ist noch nicht nah genug.

Gut möglich, dass nicht Wowereit sich der SPD annähern muss, sondern umgekehrt. Gestern antwortete Wowereit auf die K-Frage eines Journalisten mit einer Gegenfrage: „Bin ich nach einer Kanzlerkandidatur gefragt worden?“

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