: Keine Chance für Doc Sudau (2)
Der Wahrheit-Fahrrad-Western: Auf der Suche nach einem verdammten Sattelstrolch
Was bisher geschah: Doc Sudau hat ein Fahrrad gestohlen. Nicht irgendein Rad, sondern den Schwarzen Blitz, ein reinrassiges Achtundzwanziger-Trekking-Rad. Doch die Verfolger sind ihm schon auf der Spur. Als sie Sudaus Ranch erreichen, erwartet sie Lady Sudau – mit einer Winchester im Anschlag. Doc Sudau ist weiterhin auf der Flucht.
Vier Tage waren verstrichen. Eine verdammt lange Zeit. Wir kamen an eine einsame Einöde. Von der unbarmherzigen Sonne ausgebleichte Fahrradrahmen gaben uns die mörderische Gewissheit, dass hier etwas Schreckliches passiert sein musste. Da tauchte eine Staubwolke hinter dem Horizont auf. Reifengetrappel ließ den Boden erzittern. Wir vernahmen raue Stimmen. Verdammt, das war Doc Sudau mit seinen Helfershelfern! Wir folgten ihnen in gemessenem Abstand bis zum Großen Gelben Fluss. Einige Tropfen Feinmechaniköl im Sand wiesen uns den Weg. Dann Ei, Blut, Kakao. Auf einmal verloren wir ihre Spur. Diese Hundesöhne sind im Wasser gefahren!
Auf der anderen Uferseite folgten wir dem River nach Westen. Joe schätzte Sudaus Vorsprung auf vier bis fünf Meilen. Wir sagten uns, dass auch die drei Hundesöhne campieren würden. Der Nachtwind wisperte leise und geheimnisvoll, bis wir eine geeignete Stelle für das Lager gefunden hatten. Die Kälte ließ unsere Speichen klirren. Zum Teufel, es war die einsamste Nacht auf der ganzen Welt!
Piff! Ein Mündungsblitz zuckte fahlrot in der Finsternis. Ich war ein Bündel angespannter Aufmerksamkeit. Diese verdammten Fahrraddiebe! Die Luft war auf einmal extrem bleihaltig. Wir sprangen zu unseren Rädern, saßen blitzschnell auf. Sattelleder knarrte. Die Dynamos schnurrten ungeduldig. Joe riss seine Baudenzüge ab und knotete ein Lasso daraus – doch, verdammt! Zu kurz!
„Warum fährt Sudau im Zickzack?“, stieß Joe verblüfft hervor. „Halt’s Maul, schieß weiter!“, versetzte ich zischend. „Und immer auf die Reifen zielen, ich will ihn lebend.“ Pfffffff machte es plötzlich. „Teufel auch!“, fluchte Joe. Er hatte einen Platten am Vorderrad. Die Verbrecher hatten stachlige Kaktusblätter ausgestreut. Himmel, wie die Luft aus Joes Schlauch stank! Wie eine dreckige Rothaut aus dem Hintern. Dazu die Flicken schon in der zweiten Schicht drauf. Und die Ventile mit Kaugummi zugeklebt. Aber Joe kannte einen alten Indianertrick. Sofort knallte er die nächstbeste Klapperschlange ab. Mit einem bösartigen Fauchen pfiff ihr die Kugel direkt ins Maul und zum Allerwertesten wieder hinaus. Joe steckte ihren Schwanz ins Maul, fixierte das Ganze mit Lenkerband. Fertig war sein neuer Fahrradschlauch. Perfekt.
Wir schliefen nur so lange, bis wir aufwachten. Jetzt, bei Tag, war es einfacher, die Spur in dem felsigen Terrain zu finden. Es gab immer wieder Hinweise. Mal eine Knoppers-Verpackung, mal ein verbogenes Ventil. Einmal fanden wir sogar einen Haufen Fahrraddung. Der Strampelpfad, den die drei Schufte hinterlassen hatten, war gut zu erkennen. Er führte etwa tausend Meilen nach Süden, dann knickte er nach Westen, Richtung Hamburg ab. Nach einer weiteren verdammten Meile sah ich meinen gestohlenen Schwarzen Blitz. Er graste friedlich. Doch wo steckte Sudau, dieser einarmige Coyote, mit seinen Gesetzlosen?
Das Überleben in diesem Felsmassiv am Amazonas war ein Spiel um Macht und Geld. Ein Spiel, in dem Satan höchstpersönlich die Karten verteilte. Hat sich schon manch einer totgemischt. Doch das Verliererblatt würde diesmal Doc Sudau erhalten, wenn wir ihn erwischt haben. Joe ließ bergab übermütig die Zügel schießen. „Bahn frei! Kartoffelbrei!“, stieß er jauchzend hervor, hatte aber vergessen, dass er ohne Baudenzüge nicht mehr bremsen konnte. Was tun? In Windeseile hatte er sein Dienstkondom aus dem Hosensack gezogen, das mit dem Juso-Logo drauf, blies es auf und nahm es als Airbag. Ich musste vor Verblüffung staunen. Mein Ersatzrad wieherte und scheute zur Seite. Umsichtig führte ich es am Lenker den Hügel hinunter. „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt“, höhnte irgendeine dreckige Rothaut von einem Felsvorsprung herab. Einen Lidschlag später zielte ich durch den Rückspiegel. Der Mündungsblitz meines Sechsschüssers zuckte fahlrot, die Kugel hämmerte der vorlauten Rothaut das dreckige Grinsen für immer aus der Fressleiste. Jetzt war es an Joe, zu staunen.
Als wir am Fuß des Black Metal Rock ankamen, waren wir unten angelangt. Ich hämmerte meine Füße in die Pedale, ließ den Lenker schießen. Sofort verfiel das Fahrzeug gehorsam in raumgreifenden Galopp. Die Tachonadel tanzte fiebrig um den 60-Meilen-Strich. Schaumflocken bildeten sich vor seiner Lampe, an der vorderen Felgenbremse. Einen Lidschlag später sahen wir sie. Der Fahrtwind bog die Krempen ihrer Hüte nach oben. Halstücher flatterten. Tief geduckt saßen sie auf ihren Rädern. Sie versuchten uns abzuhängen, indem sie die Hand rechts raushielten, aber links abbogen. Aber ich hatte mir schon so was gedacht.
Die Sonne kroch höher und höher und warf ihr rotes Licht auf die Rhone. Schweißperlengroße Wassertropfen sammelten sich auf meiner Stirn und bildeten mit dem Staub einen klebrigen Film. Plötzlich spürte ich den Gluthauch einer Kugel an der Schläfe. Ich hechtete auf den Boden, rollte herum, sprang auf und pirschte mich von hinten an die Galgenvögel ran. Aus meinem Schießprügel zuckte ein fahlroter Mündungsblitz. Das Todesblei zerpflügte den Boden dort, wo die Fahrraddiebe eben noch gekauert hatten. Die Kerle waren zu mir herumgewirbelt. Automatisch waren ihre Hände zu den Knarren gefahren, doch ihr Verstand holte diesen Reflex ein, als sie Joes drohend auf sie gerichtete Waffe wahrnahmen, der sich von vorn angeschlichen hatte, nachdem ich ihm das verabredete Klingelzeichen, siebzehn mal kurz, zweimal lang, gegeben hatte. Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und spannte den Hahn meiner Bleispritze. Einem der drei entfuhr eine Verwünschung. „Eine falsche Bewegung“, stieß ich gepresst hervor, „und ich schicke euch in die Hölle.“
Doc Sudau stand wie versteinert. Doch seine Kompagnons zuckten verdächtig. Einen Lidschlag später jagte ich heißes Blei durch den Lauf. Die Banditen hatten keine Chance. Die Kugeln drangen ihnen in Brust und Bauch. Der eine riss sterbend den Arm in die Höhe und feuerte einen Schuss in die Luft, der andere kam gar nicht erst dazu, den Abzug durchzuziehen. „Wir können doch über alles reden, Rudolf, ich …“, stieß der Verbrecher hervor. „Zu spät, Sudau“, versetzte ich pulvertrocken. Ein bitterer Zug kerbte sich in seinem Mundwinkel. Seine Augen blickten hart wie Bachkiesel. Er kannte Tomayers Fahrraddiebhalsgerichtsordnung. Er ließ den Colt fallen. Fluchend hob Joe ihn auf. Auch er hatte die ganze Zeit ein verdammtes Jucken im Zeigefinger verspürt. Aber was soll’s?
Und ab ging es Richtung Jail. Ich nahm meinen Schwarzen Blitz, Joe sattelte ziemlich erleichtert auf Sheriff Schwinkowskys Dienstrad um, und Sudau musste wegen seiner erhobenen Hände freihändig auf dem Hollandrad vor uns herfahren. Den Stetson auf halb sieben.
Gössweinstein schlief bereits den Schlaf der Gerechten, als wir Sudau im Jail abgelieferten. Nur aus dem Saloon fiel noch Licht. Ein Klavier klimperte. Verworrener Lärm zog aus dem überfüllten Schankraum auf die Mainstreet. Ich leinte meinen Schwarzen Blitz an, spendierte Joe einen Whiskey. Dann saß ich auf, fuhr Richtung Norden, genauer: zur etwas anderen Ranch. Hab’ dort, glaub’ ich, noch was zu erledigen, bei einer einsamen Lady …
MICHAEL RUDOLF