Die Macht der Straße

KINO Aufregung beim Festival in Kirgistan

Kino regt auf in Kirgistan. Dutzende junge Männer mit trainierten Armmuskeln sind am Samstag zu dem Dokumentarfilmfestival „Eine Welt“ in Bischkek gekommen. Seit der Eröffnung der diesjährigen Filmschau mit dem Schwerpunkt Menschenrechte versuchen kirgisische Nationalisten die Aufführung des 15-minütigen Dokumentarfilms über den zu lebenslanger Haft verurteilten Menschenrechtler Asimschan Askarow zu verhindern.

Drei Jahre nach den blutigen Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken erhitzt die Personalie des usbekischstämmigen Aktivisten die Gemüter im zentralasiatischen Gebirgsland. Askarow soll während der Unruhen im Juni 2010 einen kirgisischen Polizisten ermordet haben. Damals brandschatzte der kirgisische Mob tagelang usbekische Wohnviertel in Südkirgistan, aber bis heute sehen sich die meisten Kirgisen als Opfer der Auseinandersetzung. Askarow, der während der Haft gefoltert wurde, beteuert seine Unschuld. Internationale Beobachter sind überzeugt, dass die Verurteilung aufgrund des Drucks der kirgisischen Straße zustande kam.

Es vergeht keine Auslandsreise des Präsidenten Almasbek Atambajew – letzte Woche in Brüssel oder 2012 in Berlin –, auf der nicht Askarows Freilassung gefordert wird. „Ginge es nach mir, wäre er schon längst frei“, gibt der Präsident zu. Aber in Kirgistan geht es, anders als in den zentralasiatischen Nachbarstaaten, häufig nicht nach dem Willen des Staatschefs. Zwei Machtumstürze haben die Autorität des Präsidentenamtes ausgehöhlt.

All das erzählt der Film, und das ist eine Provokation.

Frauen der sogenannten Obon, einer aggressiven Frauenbande, versuchten bereits zu Beginn, das Festival zu sprengen. Kirgisische Politiker warnen, dass der Film Unruhe schüren könnte. Der Kinodirektor bekam nächtliche Drohungen. „Ich lass mir keine Angst einjagen“, konterte die Direktorin des Festivals, Tolekan Ismailowa, kurz vor der Aufführung. Die rührige Menschenrechtlerin gehört zu den wenigen Kirgisen, die die usbekische Minderheit verteidigten. „Der Film wird gezeigt“, sagt Ismailowa, alles andere wäre eine Schande für das Land.

Die Kirgisin hat Erfahrung mit skandalösen Filmen. Im letzten Jahr untersagte ein Gericht in Bischkek die Aufführung eines Dokumentarfilms über einen bekennenden homosexuellen Muslim im Rahmen des Festivals. Diesmal kam es zur Aufführung der umstrittenen Doku über Askarow. Zwar stürmten die kirgisischen Jungmänner die Bühne, riefen „Mörder“ und „Verräter“. Aber die Polizei griff ein und sorgte für Ruhe. Auch das ist nicht alltäglich in Kirgistan.

MARCUS BENSMANN