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Archiv-Artikel

Kahn jetzt zahm

Oliver Kahn hat bedenklich wenig Bedenkzeit gebraucht, um sich zu entscheiden: Die Nummer zwei fährt zur WM

Die Annoncen der Nachrichtenagenturen klangen verheißungsvoll: „Oliver Kahn bricht sein Schweigen“. Der Angestellte des FC Bayern hatte also zu einer Pressekonferenz in München geladen – und Scharen von Journalisten waren dem Ruf des Keepers am Montagnachmittag gefolgt. Es sollte ein großer Auftritt werden. Oliver Kahn setzte sich in einem blau-weißen Hemd vor eine bunte Werbewand in der Säbener Straße. Der Gelackmeierte schlüpfte in die Rolle des Fußball-Patrioten – und sagte in aufgeräumter Stimmung: „Ich glaube, dass es wichtig ist, für die deutsche Mannschaft bei der Weltmeisterschaft dabei zu sein.“ Er fährt. Der Welttorhüter wird Kaderathlet. „Jürgen wird sicher angetan sein, dass ein Sportler die Entscheidung des Trainers akzeptiert.“ Ganz richtig: Klinsmann wird vor Freude in die Höhe gesprungen sein, als er in Kalifornien den medial inszenierten Treueschwur des Ausgebooteten vernommen hat.

Der letzte Schlenker der T-Frage war in diesem Moment genommen. Kahn wird die Fußball-Weltmeisterschaft als prominenter Bankdrücker verfolgen und die gute Aussicht vom Spielfeldrand auf Konkurrent Jens Lehmann genießen, auf den Torsteher des FC Arsenal. Er, Kahn, akzeptiere die Entscheidung von Bundestrainer Klinsmann. Und überhaupt: „Es sollte ein Ende haben mit der Diskussion Lehmann oder Kahn. Wir müssen endlich für positive Stimmung im Land sorgen“, ließ er wissen. Dabei gehe es nicht um ihn, erklärte der manische Fänger, nein: „Es geht um etwas viel Größeres.“ Dem will sich Kahn stellen. Die Weltmeisterschaft hat sein Ego in die Knie gezwungen, angeblich. „Es passt nicht zu mir, sich zu verdrücken – auch nicht in der Situation einer persönlichen Niederlage.“ Der Ehemalige, der Exkapitän der Nationalmannschaft und die Ex-Nummer-1 im DFB-Tor, er will sich in den Dienst der Mannschaft stellen – offenbar mit allen titanischen Fasern seines Leibes. Eine Drohung? „Ich will reingehen und Gas geben, die Jungs unterstützen.“ Das sei ihm übers Wochenende klar geworden, als er Zuspruch von den Kollegen erhalten habe und überdies die Empfehlung der Bayern-Granden, die zu einer Reise ins WM-Land geraten haben. Was heißt das nun? Wird Kahn als Stachel in Klinsmanns Fleische stecken? Was ist generell von diesem Experiment zu halten, von diesem Menschenversuch, an dem der Torwart aus Karlsruhe teilnehmen will? Wird er, als Abgesandter der Bayern-Lobby, im Team gegen Klinsmann antichambrieren? „Ich bin in erster Linie Sportler, Profi“, sagte Kahn. „Ich hoffe, dass das alles ein riesenpositives Ereignis für uns wird.“

Kahn, 36, lieferte in einer halben Stunde ein Zeugnis seiner Reife ab. Nicht nur, dass er mit seinem Auftritt umgehend für den vaterländischen Verdienstorden nominiert wird, er ist auch fein raus. Den Stress hat ein anderer: Lehmann. „Es kommt eine unglaublich große Drucksituation auf ihn zu.“ Damit werde der aber schon klarkommen.

MARKUS VÖLKER