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Archiv-Artikel

„Er hat meinen Schwiegervater deportiert!“

Lange hat Beate Klarsfeld den Massenmörder Alois Brunner gejagt – vergeblich. Jetzt steht Brunner im Mittelpunkt einer Oper in Osnabrück. Ein Interview zur Premiere

Interview: Thorsten Stegemann

taz: Frau Klarsfeld, wie gefällt Ihnen der Gedanke, einen Teil ihres Lebenswerkes und Ihrer ganz persönlichen Geschichte plötzlich auf der Opernbühne zu sehen?

Beate Klarsfeld: Überrascht hat mich die Idee schon. Aber ich denke, das ist durchaus eine Möglichkeit, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, und vielleicht werden so auch Menschen erreicht, die sonst nicht politisch interessiert sind.

Es gibt eine Szene, in der ihr Mann Serge, der in der Oper „Jaccuse“ („Ich klage an“) heißt, sich in einem Schrank vor Alois Brunner und seinen Häschern versteckt. Er selbst bleibt unentdeckt, aber der Vater wird verhaftet, nach Auschwitz deportiert und ermordet. Lässt sich ein derart traumatisches Erlebnis, dass sich tatsächlich so ähnlich ereignet hat, überhaupt künstlerisch verarbeiten?

Man kann eigentlich alles künstlerisch verarbeiten, aber dann natürlich auch über das Ergebnis streiten.

Wie ist ihr persönliches Verhältnis zum Fall Brunner?

Nun, er hat meinen Schwiegervater deportiert! Mein Mann Serge und ich haben 1982 begonnen, uns intensiv mit der Verfolgung zu beschäftigen. Ich habe ihn zunächst unter einem Vorwand in Damaskus angerufen, um sicherzugehen, dass wir es tatsächlich mit Brunner zu tun haben. Das ging ohne Probleme. Wir waren dann mehrfach in Syrien, zum Teil unter falschem Namen, weil wir schon ausgewiesen waren. Wir haben versucht, Politiker zu mobilisieren, uns mit dem israelischen Geheimdienst ausgetauscht und das Europaparlament zu Sanktionen gegen Syrien bewegt. Genützt hat es am Ende leider nichts.

Dabei wollten Sie ihn sogar mit Hilfe der Stasi entführen lassen.

Ich habe mit Erich Honecker bei einem seiner Staatsbesuche in Paris über Alois Brunner gesprochen und ihn gebeten, die guten Beziehungen zu Syrien zu nutzen, ihn verhaften und nach Berlin-Schöneberg ausfliegen zu lassen. Ich bin auch noch einmal in Ostberlin gewesen, aber dann fiel die Mauer.

1971 ist ihr Versuch, Kurt Lischka aus Köln zu entführen und der französischen Justiz zu übergeben, knapp gescheitert. Haben Sie sich immer ganz bewusst auf der Grenze der Legalität bewegt – oder auch ein Stück darüber hinaus?

Wir haben sogar seine Scheiben eingeworfen, und einmal hat ihn Serge mit einer Pistole bedroht, die allerdings nicht geladen war. Das war absolut illegal, wie viele unserer Aktionen. Aber wir haben uns gedacht: Wenn wir im Gefängnis sitzen und die Massenmörder draußen frei herumlaufen, fällt das vielleicht irgendwann auf. Leider mussten die Opfer immer selbst aktiv werden, von der Gesellschaft, der Justiz und dem Parlament gingen ja keine Initiativen aus. Immerhin haben wir erreicht, dass im Fall Lischka dann die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen wurden, damit er vor Gericht gestellt und verurteilt werden konnte. Besonders schockierend war für mich, dass kein einziger der Täter, mit denen ich zu tun hatte, eine Form von Reue oder Einsicht zeigte. Die wollten gar nicht verstehen, warum man ihnen solche Scherereien machte.

Was bedeutet der Umstand, dass sich Brunner und so viele andere Nazi-Verbrecher der Verantwortung entzogen haben, für den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte?

Schwer zu sagen, ich finde es aber mindestens genauso schlimm, wie viele dieser Menschen wieder integriert wurden: Juristen, Ärzte, Politiker usw. Wenn ein Mann wie Kiesinger Bundeskanzler werden konnte, durfte sich doch jeder kleine Nazi für das, was er getan hatte, entschuldigt fühlen.

Sie beobachten die Berliner Republik heute aus der Ferne. Erscheint Sie Ihnen anders, offener, toleranter als ihre Bonner Vorgängerin?

Ich betrachte die Bundesrepublik Deutschland als Demokratie, und das war auch früher schon so. Wenn wir demonstriert haben, ging es immer um bestimmte Personen, Gruppen oder Ereignisse, um die Karriere früherer Nazi-Verbrecher, Wahlerfolge der NPD oder die Ausschreitungen in Hoyerswerda.

Woran arbeiten Sie im Moment?

Unser Hauptthema war immer die Deportation der Juden aus Frankreich, und wir versuchen nun verstärkt, die Rolle der Kollaborateure zu beleuchten. Außerdem wollen wir das Gedenkbuch für die 76.000 verschleppten und ermordeten Juden weiter vervollständigen und aktualisieren. Es geht uns dabei nach wie vor nicht um die Zahl, aber wir möchten, dass jedes Opfer seinen Namen bekommt.

Gibt es für Ihre Arbeit eine Art Belohnung?

Wir haben viele Preise bekommen und sind schon zwei Mal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden. In Frankreich wird unsere Arbeit in der „L‘Association des fils et des filles de déportés juifs de France“ öffentlich anerkannt, während es in Deutschland besonders mit meiner Person wohl immer noch ein Problem gibt. Von all dem abgesehen führen wir durchaus ein glückliches Familienleben und sind sehr froh, dass unser Sohn Arno in unsere Fußstapfen getreten ist und sich besonders für die Belange Israels engagiert. Er zeigt damit, wie wichtig uns allen die Existenz eines Staates Israel ist. Wenn es diesen Staat damals schon gegeben hätte, wären niemals so viele Juden ermordet worden. Deshalb müssen wir umso engagierter an einem erfolgreichen Friedensprozess und einer Aussöhnung mit den arabischen Nachbarn arbeiten.