: Umsonst wird am meisten gelesen
ALTERNATIVKULTUR Einst waren sie Bausteine der kulturellen Identität einer Stadt: die Stadtmagazine. Ihr Niedergang erzählt vom Bedeutungsverlust durch Anpassung
VON RENÉ MARTENS
Die Beschwerde, die ein gewisser Volker 1978 in einem Interview mit dem Frankfurter Stadtmagazin Pflasterstrand formulierte, klingt inhaltlich durchaus noch zeitgemäß. Er finde es „absolut trübe“, was sich „im „Journalismus abspielt“, sagt er seinen beiden Gesprächspartnern, die der Leser als Lothar und Edi kennenlernt. „Es gibt keinen Journalisten mehr, der mal selbst recherchiert. Jeder bringt nur dieses offizielle Gelaber, diese Stellungnahmen und Kommuniqués.“
Ungewöhnlich sind an dem Beitrag indes die Diktion („absolut trübe“) und die Tatsache, dass die Beteiligten nur mit Vornamen erwähnt werden. Der befragte Volker heißt mit Nachnamen übrigens Schlöndorff, und das Interview mit dem Regisseur erschien anlässlich des Episodenfilms „Deutschland im Herbst“.
Solche Usancen waren nicht untypisch in jener Zeit, nicht nur beim Pflasterstrand, dem 1976 von Daniel Cohn-Bendit mitbegründeten Stadtmagazin. Ähnliche Projekte entstanden damals bundesweit. Das Internetportal Ruhrbarone schreibt, allein in Dortmund hätten sich in den 70er-Jahren mehr als 20 Stadtmagazine gegründet: „Häufig erschienen sie nur ein paar Ausgaben lang, manche kamen auch über die Nullnummer nicht hinaus.“ Geschäftsideen hatte zu Beginn keiner der Macher im Kopf, sie waren vor allem getrieben von einem Mitteilungsdrang – ähnlich wie später die Fanzinemacher und seit ein paar Jahren die Blogger.
Als alles möglich war
Einen Eindruck von den frühen Jahren der Stadtmagazine vermittelt Wolfgang Welt in seinem 1986 erstmals veröffentlichten dokumentarischen Roman „Peggy Sue“. Er beschreibt hier die Verhältnisse der Bochumer Zeitschrift Marabo zu Beginn der 1980er-Jahre. Es war eine Zeit, in der inhaltlich alles möglich war, etwa eine Titelgeschichte über eine Fabrikbesetzung, die die „Chaoten“, wie sie bei Welt heißen, selbst schreiben dürfen. Dennoch war es eine nicht nur rosige Phase: Welt muss oft monatelang auf sein Geld warten. Die miserable Bezahlung von Mitarbeitern ist eine Konstante in der Geschichte dieses Zeitschriftensegments.
„Stadtmagazine waren eine journalistische Alternative zur lokalen Presse. Das war Teil ihrer ursprünglichen Identität“, sagt Alfred Holighaus, der von 1986 bis 1995 Redaktionsleiter beim Berliner tip war und heute als Geschäftsführer bei der Deutschen Filmakademie fungiert. Von dieser Identität ist nur wenig übrig geblieben. In der Regel seien es reine „Serviceblättchen“ geworden, sagt Hollow Skai, der zwischen 1986 und 1989 Chefredakteur beim Schädelspalter in Hannover war und danach zum Stern wechselte. „Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die für eine Stadt wichtig sind, werden nicht mehr aufgearbeitet.“
Der Anspruch, es anders zu machen als der Rest, war unterschiedlich motiviert: Der tip entstand 1972 aus der Kulturszene der Stadt heraus. Der tip-Konkurrent Zitty oder der Pflasterstrand hatten ihre Basis dagegen im alternativen bis linksradikalen Politmilieu. Prototyp letzteren Genres war das Blatt aus München, das 1973 aus einer Kommune hervorging. Die Zeitschrift musste 1984 aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben, nachdem es zahlreiche Gerichtsverfahren, etwa wegen Beleidigung des früheren CSU-Ministerpräsidenten Alfons Goppel, hinter sich gebracht hatte.
Rot-grünen Boden bereitet
Als es mit dem Blatt zu Ende ging, gewannen beim Pflasterstrand notorische Windmacher an Einfluss: Matthias Horx (heute sogenannter Zukunftsforscher), Thomas Schmid (inzwischen Herausgeber des Springerblatts Welt) und Reinhard Mohr (Autor für Spiegel Online) brachten das Magazin auf realo-grünen Kurs und untermalten dies mit allerlei Bohei um die „Metropole“ Frankfurt. Mitte der 80er-Jahre habe der Pflasterstrand den Boden bereitet für rot-grüne Bündnisse, sagt der Frankfurter Stadtforscher Klaus Ronneberger.
Die allgemeine Wende zum Schlechten leitete Ende 1988 der Jahreszeiten-Verlag (Für Sie, Petra) ein, als er die Mehrheit an der Bochumer Stadtillustrierten Prinz erwarb. Die Strategen des Hauses hatten ein bundesweites Stadtmagazin im Sinn. Das Konzept lautete: Zeitgeist für Arme plus Stadtmagazinjournalismus minus seiner ursprünglichen Originalität. 1989 begann die Expansion, eigenständige Titel – wie Tango in Hamburg, für die der spätere Spex-Chefredakteur Hans Nieswandt arbeitete – wurden aufgekauft und unter dem Namen Prinz weitergeführt.
Unrühmliche Prinzenrolle
Ungefähr zu der Zeit, als Prinz den Markt aufwirbelte, begannen die regionalen Tageszeitungen, mit Veranstaltungskalender und Konzertankündigungen um jüngere Leser zu werben. Auch die Feuilletons der überregionalen Tageszeitungen veränderten sich. Damit waren den Stadtmagazinen weitere Konkurrenten aus einer ganz anderen Liga erwachsen. Zusätzlich buhlten Gratismagazine um die Leser: Vorreiter in diesem Segment war Mitte der 1980er-Jahre Coolibri, das heute mit mehreren Ausgaben in der Rhein/Ruhr-Region erscheint und derzeit das meistgelesene Stadtmagazin der Republik ist.
Aus diesen Veränderungen resultierte bei den etablierten Titeln ein im Laufe der Jahre immer weiter forcierter Anpassungsprozess an den Mainstream. Alfred Holighaus spricht von einer „vorauseilenden Mediokrität“. Die Blätter seien „nicht nur vom Umfang her dünner geworden, weil sie Anzeigen verloren haben, sondern auch inhaltlich“. Der Niedergang der Stadtmagazine – zwar nicht nur, aber auch bedingt dadurch, dass man unter finanziellem Druck Kernkompetenzen aufgegeben hat – wirkt aus heutiger Sicht wie ein Vorbote des Qualitätsverlusts bei etablierten Zeitschriften und Zeitungen in den Nullerjahren.
Verpönte Zahlen
Alle Kurskorrekturen haben den Bedeutungsverlust nicht stoppen können. Die Auflagen der tonangebenden Magazine haben sich seit Ende der 80er mindestens halbiert, beim 14-tägig erscheinenden tip auf 40.000, beim Monatsblatt Szene Hamburg auf 14.000 bis 15.000. Und für den Jahreszeiten-Verlag, seit 1995 Alleininhaber von Prinz, hat sich das Engagement im Stadtzeitschriftenmarkt als finanzielle Katastrophe erwiesen.
Nur wenigen Stadtmagazinen merkt man die Ursprünge des Genres noch an. Der Kölner Stadt-Revue zum Beispiel. Hier findet man in einem Artikel über Arbeitsmarktpolitik einen Verweis auf „eine Studie der IG Metall“, wonach 2009 „eine Milliarde bezahlte Überstunden gemacht wurden“ und „eine gleichmäßige Verteilung der Arbeitsstunden mindestens 410.000 neue Jobs ergäbe“. Solche Rechnungen sind anderswo verpönt.
Positiv aus dem Rahmen fällt auch das noch relativ junge Magazin Pony aus Göttingen, das im DIN-A6-Format erscheint und gerade seinen fünften Geburtstag feiert. „Wir machen das, worauf wir Lust haben“, sagt Michael Saager, der Chefredakteur, eine „linke Haltung“ sei ihm wichtig. Das Magazin mit einem Faible für Theorie und Popdiskurse hält nichts von Liebedienerei gegenüber Anzeigenkunden und vermeintlichen Zielgruppen. „Widerwärtig“ findet Saager, dass sich viele Stadtmagazine zu Semesterbeginn mit Servicetexten an frisch zugezogene Studenten „ranwanzen“. Die Blätter unterschätzten diese Leser. Dass das Konzept von Pony funktioniert – die kleine Zeitschrift schreibt schwarze Zahlen –, liegt aber auch daran, dass alle Beteiligten nur nebenbei dort arbeiten.
Insgesamt hätten sich Stadtmagazine „seit den 90er-Jahren überlebt“, sagt Hollow Skai, eine „totale Umorientierung“ sei notwendig. Die entscheidende Frage ist allerdings, ob regionale publizistische Alternativen auf dem Printmarkt noch realisierbar sind und man wenn überhaupt ein entsprechendes Projekt nur online vorantreiben sollte. In Berlin startete im vergangenen September das Stadtmagazin Berlin Block, das sich Entschleunigung, lange Texte und die Abkehr vom Terminvollständigkeitswahn auf die Fahnen geschrieben hatte. Die Zeitschrift überlebte nicht einmal ein halbes Jahr.