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Archiv-Artikel

… und tschüss!

Berlusconi ist abgewählt. Als starker Oppositionsführer wird er sich Prodis künftigem Regierungskurs entgegenstellen

Berlusconi hinterlässt ein Land, das er als Minister-präsident seinen Interessen gefügig gemacht hat

AUS ROM MICHAEL BRAUN

„Via Berlusconi! – Weg mit Berlusconi!“ Strahlend hielt das junge Mädchen auf der nächtlichen Siegesfeier des Prodi-Bündnisses ihr Plakat hoch, während der Spitzenkandidat oben auf der Ladefläche seines Wahlkampf-Trucks gemeinsam mit den anderen Frontleuten seiner Koalition die Sektkorken knallen ließ und sich zum Wahlsieger ausrief.

Zunächst aber wollte sich kein Verlierer finden; ein Berlusconi-Sprecher erklärte trocken, die Rechte liege schließlich im Senat, im zweiten Haus des Parlaments, mit 155 Sitzen gegenüber 154 für Prodi vorne. Dieses Resultat drehte sich dann zwar gestern Vormittag, als auch die Stimmen der Auslandsitaliener ausgezählt waren, die sechs weitere Senatoren zu wählen hatten. Vier der sechs gehören der Unione an, nur einer dem Berlusconi-Block – damit stand fest, dass Prodi mit 158 zu 156 auch im Senat die Nase vorn hat. Festzustehen scheint auch, dass der Verlierer sich noch nicht mit seiner Niederlage abfindet: Noch in der langen Nacht zum Dienstag ließ Berlusconi mitteilen, dass er angesichts des knappen Ausgangs im Abgeordnetenhaus eine Neuauszählung der Stimmen fordern werde.

Dennoch: Mit der knappsten aller denkbaren Mehrheiten ist Prodis Rechnung aufgegangen: Berlusconi ist abgewählt, auch wenn er es noch nicht recht wahrhaben will. Zwölf Jahre nach seinem ersten triumphalen Wahlsieg von 1994, fünf Jahre nach seinem klaren Erfolg von 2001 liegt er erstmals, wenn auch nur hauchdünn und nur im Abgeordnetenhaus, auch prozentual hinter der Linken.

Doch ist Berlusconi nun auch entzaubert? Ausgerechnet die stramm linke Tageszeitung Il Manifesto titelte gestern: „Berlusconis Wiederauferstehung“. In der Tat: In scheinbar aussichtsloser Situation hatte Berlusconi sich verbissen in den Wahlkampf gestürzt und die Entscheidung auch zum Verdruss seiner Koalitionspartner in ein Referendum für oder wider Berlusconi verwandelt. Die Mehrheit konnte er so nicht mehr gewinnen, wohl aber hinterlässt er ein Italien, das sauber in zwei Hälften geteilt ist, wie ein in der Mitte durchgeschnittener Apfel.

Mehr noch: Berlusconi schaffte es zugleich, den drohenden Erdrutsch seiner Forza Italia abzuwenden. Nur 18 bis 20 Prozent hatten die Meinungsforscher seiner Partei vorhergesagt, die 2001 noch knapp 30 Prozent erobert hatte. Am Ende landete Berlusconis Geschöpf dann bei etwa 24 Prozent, genug, um vor dem zweitstärksten Koalitionspartner, der Alleanza Nazionale (gut 12 Prozent), die eindeutig beherrschende Kraft im Rechtsblock zu bleiben.

Und Berlusconi erzielte diesen Achtungserfolg, indem er auf Berlusconi pur setzte. Nicht den Staatsmann gab er im Wahlkampf, sondern den rüden Populisten, der mit einer Mischung aus wüsten Attacken auf den Gegner und ziemlich haltlosen Versprechen – 800 Euro Mindestrente oder auch die komplette Streichung der Müllabfuhrgebühren – seine Wähler wieder einzufangen suchte. Und die Rechnung ging auf: Knapp die Hälfte der Italiener findet sich selbst nach fünf enttäuschenden Jahren Berlusconi-Regierung in diesem Politikentwurf wieder.

Und auch wenn Berlusconi jetzt abgewählt ist, hinterlässt er seinem Nachfolger ein Land, das er in fünf Jahren den eigenen Interessen gefügig gemacht hat. Da wäre zuerst das Mediengesetz: Es gestattete Berlusconi den Erhalt, ja den Ausbau seines Monopols beim Privatfernsehen, statt Konzentrationsgrenzen festzulegen. Berlusconis Holding Mediaset, noch Mitte der Neunzigerjahre heillos überschuldet, fährt Jahr für Jahr Rekordgewinne ein, machte seinen Haupteigner mit schätzungsweise 10 Milliarden Euro Privatvermögen zum reichsten Mann Italiens – und bleibt seine mächtigste Propagandawaffe.

Ebendieses Problem „löste“ Berlusconi auf seine Weise, mit einem windelweichen Gesetz zum Interessenkonflikt zwischen unternehmerischen und politischen Aktivitäten. Dieses Gesetz lässt ihm alle Freiheit, Eigner des größten Medienkonzerns zu sein und zugleich in der Politik aktiv zu werden. Bloß auf die operative Führung seiner Unternehmen muss er verzichten – dafür hat er seinen Jugendfreund Fedele Confalonieri und seine Kinder Marina und Piersilvio.

Auch der Justiz setzte Berlusconi über die Jahre mit zahlreichen „Reform“-Gesetzen zu. Er, der mittlerweile 12 Prozesse hinter sich hat – 6 endeten nur dank Verjährung nicht mit einer Verurteilung –, setzte als Regierungschef darauf, die gegen ihn laufenden Verfahren per Gesetzesänderung aus dem Weg zu räumen. Gleich zum Auftakt seiner Amtszeit wurde Bilanzfälschung von einer Straf- zur bloßen Bußgeldsache herabgestuft – und schon war ein Prozess vom Tisch. Dann gab es diverse Gesetze, die den Staatsanwälten Rechtshilfeersuchen im Ausland erschweren sollten, die der Verteidigung größere Möglichkeiten bei Befangenheitsanträgen einräumten, die die Verjährungsfristen drastisch verkürzten. Schließlich schaffte die Berlusconi-Koalition einfach die Möglichkeit für die Staatsanwaltschaften ab, bei Freispruch des Angeklagten in die Berufung zu gehen – und wieder hatte sich ein Prozess gegen Berlusconi erledigt.

Eine immense Aufgabe komme auf ihn zu, hatte Prodi deshalb gesagt, selbst als er noch von einem klaren Wahlsieg mit satten Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments träumte. Vor dem versprochenen „Aufbruch Italiens“ stehen erst einmal die Aufräumarbeiten an, denn auch mit Berlusconi in der Opposition wird die doppelte italienische Anomalie ja erhalten bleiben: ein in Westeuropa beispielloses Privat-TV-Monopol, das sich zugleich in der Hand eines Politikers befindet.

Staatspräsident, wie er es sich für den Fall des Wahlsiegs erträumt hatte, wird Berlusconi nun wohl nicht mehr werden; wenigstens der Albtraum, dass Silvios Konterfei in allen Amtsstuben und Schulen von der Wand heruntergrinst, bleibt den Prodi-Wählern erspart. Oppositionsführer wird der nach diesem Wahlausgang wieder unangefochtene Frontmann der Rechten aber wahrscheinlich vorerst bleiben – und sei es bloß, um Prodi die Arbeit bei der Abschaffung der Berlusconi-Gesetze so schwer wie möglich zu machen.