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Archiv-Artikel

Pop an der Peripherie des Weltgeschehens

KINODEBÜT David Chase hat uns die TV-Serie „Sopranos“ geschenkt. Jetzt hat er seinen ersten Kinofilm gedreht: „Not Fade Away“, eine Zeitreise in die Sechziger

Chase blickt nicht nostalgisch auf die Vergangenheit, eher verhalten skeptisch

Die „British Invasion“ der 60er Jahre war für die US-amerikanische Popmusik eine Schmach. Es mussten erst die Stones, die Beatles, die Animals und John Mayall and the Bluesmakers kommen, um den Blues amerikanischer Urgesteine wie Son House, Blind Willie McTell, Muddy Waters und Leadbelly in den Kanon der Popmusik zu überführen – und das zwanzig Jahre nachdem der Musikforscher Alan Lomax im amerikanischen Süden Spuren dieses nationalen Kulturguts mit seinem Aufnahmegerät aufgelesen hatte. Die jungen, spackigen Briten hatten bei den richtigen Meistern gelernt, und dazu sahen sie auch noch verdammt gut aus.

Das ist mehr, als man in den 60ern als italoamerikanisches Arbeiterkind in New Jersey erwarten konnte. Dass die kulturelle Differenz von weißen Teenagern und schwarzer Blues-Erfahrung sich aber gar nicht so leicht überbrücken lässt, muss der junge Douglas (John Magaro), die Hauptfigur von „Not Fade Away“, dem Kinodebüt von „Sopranos“-Schöpfer David Chase, in den Gesprächen mit seinem afroamerikanischen Arbeitskollegen erkennen. Für die Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre besaß der Gospel eines Martin Luther King schon eine größere Relevanz als der Gospel des Robert Johnson.

In der Geschichte von „Not Fade Away“ laufen also gleich mehrere Revolutionen unterschiedlichen Kalibers parallel, und nicht immer ist an der Peripherie des Weltgeschehens, in New Jersey etwa, die Wertigkeit historischer Ereignisse ersichtlich. Gerade mal vier Wochen lagen zwischen der Ermordung John F. Kennedys und der Veröffentlichung von „I Want to Hold Your Hand“ in den USA, erklärt die weibliche Erzählstimme von „Not Fade Away“.

Chase’ Film erzählt von einer turbulenten Zeit, in der die Popmusik für einen utopischen Moment einen gesellschaftlichen Gestaltungswillen auszudrücken vermochte. Deutlicher noch als in Olivier Assayas’ „Die wilde Zeit“, der eine ähnliche Situation aus der Sicht der französischen Post-68er-Jugend beschreibt, verläuft die Politisierung in „Not Fade Away“ über Musik. Bei Chase allerdings werden Bands gegründet: aus Protest gegen die Eltern, auf der Suche nach einer Ersatzfamilie, aus Geschmacksgründen oder einfach, weil irgendwo noch ein Mädchenherz zu erobern ist. Das von Grace (Bella Heathcote) zum Beispiel, für die Douglas seit der High School schwärmt, die am Ende aber ihren eigenen Kopf durchsetzt.

Für die jugendlichen Protagonisten aus „Die wilde Zeit“ steht mehr auf dem Spiel als für Douglas, Eugene und Wells, die mit ihrer durchschnittlich begabten Band erste zaghafte Versuche der Selbstermächtigung unternehmen. Chase hat allerdings auch ein anderes autobiografisches Interesse an seinen Figuren als der politisch engagierte Assayas. „Not Fade Away“ ist in erster Linie ein Film für Musikromantiker, für Menschen, die der Überzeugung sind, dass nach 1967, dem Sommer der Liebe, keine gute Popmusik mehr gemacht wurde. Im Nostalgiemodus fährt Chase dennoch nicht.

Seine Beobachtungen und Dialoge sind zu genau für verklärende Bilanzen. In seinem Blick auf die Vergangenheit macht sich immer auch eine verhaltene Skepsis breit, die von James Gandolfini in einer seiner letzten Rollen als Douglas’ Vater angemessen verkörpert wird. Sein Konservatismus wird die Jahrzehnte unbeschadet überstehen. Weil Chase aber einen historischen Film aus der Perspektive einer Band gemacht hat, der der große Erfolg verwehrt bleibt, bezieht er letztlich doch so etwas wie eine kritische Position. Denn Geschichte wird von den Siegern geschrieben. „Not Fade Away“ versucht sich an einer Revision dieser Geschichte – und sei es nur, indem er am Ende lakonisch konstatiert, dass der Rock ’n’ Roll neben der Atombombe die zweite große amerikanische Errungenschaft gewesen sei.ANDREAS BUSCHE

■ „Not Fade Away“. Regie: David Chase. Mit John Magaro, James Gandolfini, Bella Heathcote u. a. USA 2012, 112 Min.