: Das Wir fährt Achterbahn
WÖRTER Kaum einer redet so um die Dinge herum wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aber was meint sie bloß damit? Eine Rhetorikanalyse
VON HANS HÜTT
Es gibt Momente, da steht viel auf dem Spiel. Das Feld ist abgeräumt, die Gegner deklassiert. In der Eurokrise zum Beispiel. Die Gewinnerin hat die Krise für die Dauer des Wahlkampfs in eine Warteschleife verbannt. Oft betreten wir auch Neuland. Jeder politische Schritt betritt Neuland. Die Leute da draußen vertragen das nur in kleinster Dosis.
Als Kanzlerin treffe ich Entscheidungen für unser Land, für die Menschen in Deutschland. Ihr „für“ ist das neue „gegen“. Ich muss sicher sein, dass wir auch das Richtige tun. Das Richtige? Das heute Richtige wird unter ihrer Hand das Falsche. Halte die Räume offen für Wenden. Das Richtige ist nicht immer, was am lautesten gefordert wird. (Kameraschwenk zur offenen Tür): Raus mit euch! Das Richtige ist, was am Ende den Menschen hilft. Menschen halte ich auf Abstand wie Tiger im Zoo, indem ich vermeide, sie als Bürgerinnen und Bürger anzusprechen. Politik ist mein Zoo. Deutschland steht heute gut da. Eine starke Wirtschaft. Mehr Menschen in Beschäftigung als je zuvor. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Der Dreiklang gewinnt durch zartes Drohen den Charakter eines verwehenden Sehnsuchtsakkords. Tristan treibt’s Tränen in die Augen. Das haben wir gemeinsam geschafft. Sie nimmt die Gegner in Haftung. Für alles Schlechte. Das darf jetzt nicht aufs Spiel gesetzt werden. Durch höhere Steuern und mehr Belastung. Das wäre nicht gut für Deutschland. Der Bezug aufs Land wirkt wie ein Hütchenspielertrick.
Ich will, dass wir auch in Zukunft gemeinsam erfolgreich sind. Sie setzt den eigenen Willen absolut. Der gemeinsame Erfolg? Versenkt in den Nebensatz. Durch gute Arbeit. Und neue Ideen. (Schwenk zur offenen Tür). Auch hier winkt Merkels Permutationspanegyrik. Adjektive, das ist ihr Gesetz, besagen das Gegenteil ihres Sinns. Ihr Lieblingsadjektiv? Natürlich natürlich. (Draußen, Blick ins Leere). Ich will, dass wir ein faires Land sind. Die Leere da draußen sagt alles. Ich will ein Land, in dem die Stärkeren den Schwächeren helfen. (Schwenk zur offenen Tür) Auf dass die Schwachen auch weiterhin den Starken aus der Bredouille helfen.
Merkels Sätze leben davon, dass sie den Sinn auf den Kopf stellen. Ich will ein Land, in dem die belohnt werden, die etwas leisten. Ist der Sinn entleert, sind die Schäfchen bekehrt. Ein Land, in dem wir unseren Kindern die besten Chancen bieten. Solange sie nicht auf die dumme Idee kommen, Chancen zu nutzen, reicht das Bieten. Als Pose. Das ist mein Ziel als Kanzlerin. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Am 22. September. Mit beiden Stimmen für die CDU. Gemeinsam schaffen wir das. Sie haben Ihr Ziel erreicht, wo auch immer Sie hinwollten.
Der Mutter grauset’s; sie reitet geschwind,
hält in den Armen ein ächzendes Kind.
Erreicht ihr Ziel mit Müh und Not;
in ihren Armen das Kind rot-rot-grün – also tot.
■ Der Autor ist Public-Affairs-Berater, Lehrbeauftragter an diversen Universitäten, Publizist in Berlin. Er bloggt unter www.wiesaussieht.de