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Archiv-Artikel

Kein Fest ohne Feind

FESTIVAL IM HAU Kolumbien ist ein gewaltgeplagtes Land, und das zeigt sich auch in seinem Theater. Vom „Festival Iberoamericano“ in Bogotá kommen einige Stücke ins HAU. Heute Abend eröffnet „Freiheit & Unordnung“

Tausende „Bogotanos“ ziehen spazierend, auf Fahrrädern und Rollerblades sonntags durch die Stadt

AUS BOGOTÁ OLE SCHULZ

Auf der Bühne eine bunte Bar, dekoriert mit Luftschlangen, Luftballons knallen. Was wie Karneval erscheint, symbolisiert das Fest der „Santos Inocentes“, der „unschuldigen Kinder“. Das kleine „Mapa Teatro“ im Herzen Bogotás beleuchtet in seiner Inszenierung beim Theaterfestival „Iberoamericano“ eine eigenartige kulturelle Praxis.

Jeden Dezember feiern die Bewohner Guapís in Kolumbien das „Fest der unschuldigen Kinder“. Die abgelegene, von Afrokolumbianern bewohnte Pazifikregion um Guapí ist zwischen Regierung, Paramilitärs und Guerilla hart umkämpft. Hier hat sich das ursprünglich katholische Fest mit der Zeit gewandelt: Heute ziehen als Frauen verkleidete Männer in Plastikmasken und mit Peitsche in der Hand durch die Straßen. Sie peitschen jeden aus, der ihnen in Quere kommt.

Wenn mit dem Mapa Teatro heute Abend im HAU das Festival „Libertad y Desorden – Freiheit & Unordnung“ eröffnet, wird man mittels Video in die Stadt Guapí und sein Fest eingeführt. Zwischendurch spielen zwei alte schwarze Männer Marimba, während im Hintergrund ein Paramilitär im Fernsehen Reden schwingt. „Kein Fest ohne Feind“ ist das absurde Motto des „Santos Inocentes“-Tags. Heidi Abderhalden, Regisseurin des vor 25 Jahren gegründeten Mapa Teatro, nennt die lustvolle Peitschorgie einen „karthartischen Akt“ angesichts der allgegenwärtigen Gewalt. Allein dass sich die Menschen massenhaft öffentlich versammeln, sei ein Zeichen von Widerstand. Denn in Guapí kam es bei solchen Anlässen schon zu Anschlägen.

Theater als Einstieg

Ein Besuch bei den sympathischen Leuten vom Mapa Teatro ist ein guter Einstieg für Bogotá – eine Acht-Millionen-Stadt, in der Neuankömmlinge ein Weilchen brauchen, um sich wohlzufühlen.

Nachts kann es in 2.500 Meter Höhe frisch werden, am Tage nieselt es häufig. Überall stehen bewaffnete Uniformierte, ständig wird man um Geld angeschnorrt. Sobald es dunkel wird, leert sich die Stadt. „Don’t talk to nobody in the street!“ wird der Gast aus dem Ausland gewarnt. Dass trotzdem eine erwartungsvolle Stimmung in der Luft liegt, ist dem XII. Festival Iberoamericano zu verdanken, eines der weltweit größten Theatertreffen überhaupt. Bilder der 2008 verstorbenen Festivalgründerin Fanny Mikey mit ihren leuchtroten Locken sind in Bogotá allgegenwärtig. Was einem in gut zwei Wochen beim Festival geboten wird, ist kaum zu überblicken – mehrere hundert Gruppen treten auf, aus dem Ausland kommen solch illustre Regisseure wie Robert Wilson, Frank Castorf und Peter Brook. Gut besucht sind die vielen kostenlosen Straßentheater-Shows, unter freiem Himmel und in Shopping-Malls.

Matthias Pees nennt das Festival Iberoamericano einen charmanten „Gemischtwarenladen“. Früher Dramaturg der Volksbühne, ist Pees als Co-Kurator des Kolumbien-Festivals „Freiheit und Unordnung“ in Bogotá, das heute im Hebbel am Ufer beginnt. „Wir haben jüngere Künstler eingeladen, auch aus dem Bereich Visual Arts und Performance, die sich mit der politischen und sozialen Realität Kolumbiens auseinandersetzen.“ 2010 ist ein wichtiges Jahr für das Land: Ende Mai stehen die Präsidentschaftswahlen an.

Schlecht in Konflikten

Der 29-jährige Regisseur Jorge Hugo Marín zeigt derweil sein Stück „Familienangelegenheiten“, das auch mit nach Berlin kommen wird: Die Zuschauer sitzen in Bogotá in einem kleinen Patio, vor ihnen ein Panoramafenster, durch das man wie ein Voyeur in ein Wohnzimmer schaut.

Dort spielt sich ein tragikomisches Familientreffen ab: Mit bissigen Dialogen streiten drei Geschwister und zwei ihrer Ehefrauen darüber, wer die bettlägerige Mutter bei sich zu Hause aufnimmt. Unfähig eine Lösung zu finden, treten die familiären Dissonanzen immer deutlicher hervor.

Mit der Familie befasst sich auch „Einfach das Ende der Welt“. Mit der Adaption des Jean-Luc Largarce-Stücks ist Manuel Orjuela zum HAU-Festival in Berlin eingeladen. Der Regisseur aus Bogotá verarbeitet darin die Entfremdung von seiner eigenen Familie. „Wir Kolumbianer sind sehr schlecht darin, Konflikte mit Worten zu lösen.“

Beim Festival in Bogotá geben allein die Eintrittspreise von bis zu 40 US-Dollar Anlass für Unmut. Regisseur Orjuela verteidigt das Festival trotzdem. „Für uns war es viele Jahre das einzige Fenster in die weite Welt des Theaters.“

Im Laufe der Tage gewöhnt man sich an Bogotá – vor allem sollte man einen Sonntag in der Stadt erlebt haben: Viele Hauptverkehrsstraßen bleiben bis nachmittags für Autos gesperrt, und tausende „Bogotanos“ ziehen spazierend, auf Fahrrädern und Rollerblades durch die Stadt. Eingeführt wurde der sonntägliche „Ciclovía“ vom einstigen Bürgermeister Antanas Mockus. „Er hat der Stadt Licht gebracht, Radwege und Bürgersteige angelegt und uns vorgelebt, warum man sich an gewisse Regeln halten sollte“, sagt Orjuela.

■  Festival: „Freiheit und Unordnung“, Hebbel am Ufer, 22. 4. bis 1. 5., www.hebbel-am-ufer.de