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Archiv-Artikel

Essen ist fertig – jetzt zählt der ganze Pott

2010 wird das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas. Aber was bedeutet das für die Region? Wird sich Essen nun unter die anderen Städte einreihen? Und wie viele Menschen werden kommen? Die EU hat untersucht, was der Titel so bringt

ESSEN taz ■ Vier Jahre. Noch nicht mal. Drei Jahre und acht Monate. Dann beginnt das Kulturhauptstadtjahr 2010. Und etwas anderes müsste bis zu diesem Zeitpunkt bereits gewachsen sein: eine Metropole Ruhr. Eine Einheit. Ein pulsierendes Zentrum des Landes. Das jedenfalls beten die Initiatoren der Bewerbung seit Anbeginn runter. Und schon ein kurzer Blick in die Region zeigt, wie viel noch zu tun ist bis 2010. Oder anders herum: Was kann man als ganz normaler Bewohner der Region eigentlich erwarten? Was wird sich tun?

Die Europäische Union hat in einer 600 Seiten starken Studie untersucht, was er denn bringt, dieser Titel. Zusammenfassend könnte man drei Aspekte nennen, auf die auch das Essener Kulturhauptstadt-Team um Oliver Scheytt und Jürgen Fischer setzt. Zum einen: die Chance, eine innere Vernetzung herzustellen. Im Falle des Reviers also aus einer Aneinanderreihung von Provinzen eine Metropole zu nähen. Und so auf der anderen Seite das Image zu korrigieren, was für den Pott durchaus positiv wäre, denkt man in weiten Teilen Europas halt noch, dass man im Revier vor allem eines wird: sehr schnell dreckig. Dabei sollen 2010 Menschen aus ganz Europa kommen und auch die Wirtschaft ankurbeln. Womit wir beim dritten, einem wichtigen Aspekt wären: den Touristen.

Der Frage, wie viele Arbeitsplätze der Titel dem Revier bescheren werde, wich Fischer am Dienstag geschickt aus. Und verwies stattdessen auf „Vergleichswerte“ aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe anderer Kulturhauptstädte. Zum Beispiel Weimar, die den Titel 1999 trug und 56,3 Prozent mehr Übernachtungen verbuchte. Ein Jahr später gingen die Übernachtungen freilich wieder zurück: um rund 22 Prozent. Wie die Besucherzahl: Im Titeljahr stieg sie im Durchschnitt um 12,7 Prozent. Und fiel danach um 3,9 Prozent ab. Wobei zu beachten ist, dass größere Kulturhauptstädte in der Regel mehr Kultouristen anzogen und es sich beim Ruhrgebiet erstmals um eine ganze Region handelt, die ausgezeichnet wurde. Weshalb Essen nun auch in den Hintergrund treten und sich als pars ins toto einreihen müsste.

Aber die Zentrale des Ganzen wird eben doch weiterhin in Essen bleiben. Dort soll die neu zu gründende Kulturhauptstadt-Gesellschaft ein Büro beziehen, dort sitzt der Regionalverband Ruhr, dort ist Scheytt Kulturdezernent. Womit man unweigerlich wieder bei der inneren Vernetzung ist. Wie viel fällt auf die anderen Städte ab? Scheytt bereitet sich schon darauf vor, viele Anrufe zu bekommen in den nächsten Tagen. Jeder will partizipieren. Selbst kleinste Kultureinrichtungen hoffen darauf, ein paar Euro abknapsen zu können. „Dabei kommen von der EU doch bloß 500.000 Euro“, sagt Scheytt.

Insgesamt aber sollen mehr als 40 Millionen Euro in Kultur umgesetzt werden. Ein mobiles Rathaus wird durchs Ruhrgebiet geschickt, um das Zusammenwachsen zu demonstrieren; der Ruhrschnellweg, die stets verstopfte Hauptschlagader des Reviers, wird mit Lichtkunst geflutet; in den Essener Baldeneysee werden Kunstinseln gepflanzt und mehr als 150 Partnerstädte zum Dialog eingeladen – womit nur ein kleiner Teil der geplanten Projekte genannt wäre. Das Programm ist breit angelegt. Was, laut Studie, Brücken in die Stadtteile und zu sozialen Randgruppen schlagen kann. Andererseits: Ein Großteil des Publikums reiste großer Ausstellungen wegen in die anderen Kulturhauptstädte. Die Metropolenwerdung mit dem touristischen Aspekt gekonnt zu verquicken, das ist also jetzt die Aufgabe. Wie es Jury-Chef Jeremy Isaacs gesagt hat: „Jetzt beginnt die harte Arbeit!“ BORIS R. ROSENKRANZ