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Archiv-Artikel

Beteiligung am finanziellen Nichts

FILMSTADT Berlin hat sich zum Zentrum für Independentfilme entwickelt. Und Filmarbeit kostet Geld, von dem man in dieser Stadt halt immer viel zu wenig hat. Drei junge Filmer erzählen von Low Budget, No Budget und warum man trotzdem weitermacht

Bernhard Bulling

■ 1978 in Venezuela geboren, studierte an der European Film Actor School in Zürich. Seitdem spielte er in diversen Filmen mit, unter anderem in der chinesisch-schweizerischen Produktion „Soundless Wind Chime“, die im internationalen Forum der Berlinale 2009 lief. In dem Suspense-Thriller „Black Forest“ von Gert Steinheimer, der vergangene Woche in die Kinos kam, ist Bernhard Bulling in einer der Hauptrollen zu sehen.

VON MARIELLE STERRA

Es ist ein sonniger Frühlingsnachmittag Mitte April, gerade so warm, dass man schon draußen sitzt in den Cafés in Prenzlauer Berg. Regisseur Tom Tykwer wohnt einige Straßenzüge weiter, um die Ecke ist der Supermarkt, in dem Daniel Brühl gelegentlich einkauft. Die Atmosphäre des Viertels zieht Filmschaffende aus ganz Deutschland hierher. In keiner anderen deutschen Stadt ist die Szene derart vielfältig, wohnen etablierte Filmemacher mit ihren noch unbekannten Kollegen praktisch Tür an Tür. „Ein bisschen ist das wie im New York der 70er“, sagt Adolfo Kolmerer. „Alle sind da.“ Vor vier Jahren kam der 23-Jährige aus Venezuela nach Berlin, um Filmregie zu studieren. Das Studium hat er inzwischen abgeschlossen, arbeitet an ersten eigenen Projekten. Sein Optimismus ist ungebrochen, seine Miete zahlt er mit Nebenjobs.

„Natürlich arbeiten wir alle darauf hin, eines Tages davon leben zu können“, sagt Bernhard Bulling, der in Zürich Schauspiel studiert hat. Aber dass sich tausende Filmschaffende an einem Ort tummeln, ist eben auch ein Nachteil: „Die Berliner Szene ist sehr undurchsichtig und hat eine problematische Mentalität“, sagt der Filmkomponist Anton Ludwig. „Diejenigen, die das Geld haben, versuchen, den Preis immer weiter zu drücken.“ Viele freischaffende Künstler sehen sich gezwungen, solche Jobs trotzdem anzunehmen – obwohl die Bezahlung schlecht ist, wenn sie denn überhaupt erfolgt. Das Prinzip der Rückstellungsverträge hat sich gerade im Low-Budget-Bereich durchgesetzt. Dabei wird erst gezahlt, wenn der Film anfängt, Gewinne abzuwerfen. Da aber gerade das bei Independent-Produktionen in Deutschland eher selten der Fall ist, beteiligt man die Mitwirkenden also an überhaupt nichts.

„Sein Optimismus ist ungebrochen, seine Miete zahlt er mit Nebenjobs“

Fragwürdige Förderung

Dass es bei solchen Arbeitsbedingungen schwierig ist, sein monatliches Einkommen zu kalkulieren, liegt auf der Hand. Dabei hat man von staatlicher Seite mit der Filmförderungsanstalt (FFA) eigentlich ein Instrument geschaffen, das gerade auch Nachwuchsprojekten eine bessere Finanzierung ermöglichen sollte. An diese begrenzten Mittel kommt man allerdings nicht nur durch innovative Ideen: „Leider ist auch das eine Lobby, da läuft viel über Vitamin B“, sagt Bernhard Bulling. „Es ist sehr schwer, als komplett Außenstehender an eine solche Förderung zu kommen.“

Der Abschluss an einer der staatlichen Filmschulen kann zwar hilfreich sein, doch auch dort ist die Welt nicht restlos in Ordnung. Mitte März streikten die Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), Auslöser war der neue Direktor Jan Schütte und die Angst, dass künftig eigenwilligere Produktionen an der dffb weniger Raum bekommen. Schütte bevorzuge Filme, die sich an den Bedürfnissen der FFA orientierten, warfen ihm die Studenten vor. Die meisten Filmemacher versuchen daher, ihre Vorhaben privat zu finanzieren. „Man fragt bei Freunden oder Bekannten“, sagt Adolfo Kolmerer. Oder sucht ganz unkonventionell Sponsoren in der Nachbarschaft – zum Beispiel beim filmbegeisterten Bäcker in der Nebenstraße.

Adolfo Kolmerer

■ 1986 in Venezuela geboren, studierte Film- und TV-Design am L-4 Institut für digitale Kommunikation in Berlin. Im Jahr 2008 arbeitete er bei einigen Musikvideoproduktionen mit, unter anderem für den Berliner Rapper Frauenarzt. 2009 drehte er im Rahmen des 99 Fire Film Awards seinen ersten Kurzfilm „Scheiß Job“, gefolgt von seinem Abschlussfilm „Eric’s Suisite“, in dem auch Bernhard Bulling zu sehen ist.

Die Macht der Technik

Eine Erleichterung für die Independent-Szene kommt aus dem Bereich der Technik, das findet zumindest der junge Regisseur. Die Digitalisierung habe dazu geführt, dass die Kosten für ein Projekt erheblich gesenkt würden – und der Einzelne über mehr Möglichkeiten verfüge, meint er. Nun zählten wirklich die Inhalte und das Talent. Anton Ludwig sieht das ein bisschen anders: „Der Nachteil ist, dass die Konkurrenz größer wird“, sagt er. Neben der Schwemme an kleinen Produktionen führe das auch dazu, dass einzelne Berufssparten gänzlich verschwänden, weil die Technik ihre Arbeit übernimmt. „Das Problem ist auch, dass weniger Geld für die Filme zur Verfügung gestellt werden“, sagt Bernhard Bulling, „eben weil die Technik inzwischen billiger ist.“ So verdienten die Beteiligten nicht mehr, sondern eher weniger.

Anton Ludwig

■  1976 in Köln geboren, arbeitet als freischaffender Komponist, Musikproduzent, Sounddesigner und Toningenieur. Er war unter anderem für die Deutsche Welle, Radio Köln, M. Project Film- und Fernsehproduktion sowie für diverse Tonstudios tätig. Nachdem er die Musik zu Adolfo Kolmerers „Eric’s Suisite“ komponierte, schreibt er momentan den Soundtrack für einen Film der Hamburger Regisseurin Nina Claassen.

Hollywood ist anderswo

Aller schwierigen Voraussetzungen ihrer Arbeit zum Trotz haben die drei jungen Filmschaffenden eines bislang nicht verloren: Ihren Idealismus und ihre Leidenschaft für das, was sie tun. „Es geht darum, mit der eigenen Kreativität Erfolg zu haben“, sagt Anton Ludwig. Dadurch, dass die meisten in der Filmszene am Rande des Existenzminimums lebten, sei der Traum vom großen Star schnell vorbei. „Aber gerade weil der Job so hart ist, werden nur die Leute bleiben, die mit Leidenschaft dabei sind“, meint Adolfo Kolmerer.

Stranger than Blues

Im Eiszeit-Kino kann man jetzt ganz prächtig den Blues haben, drei Tage lang, und dabei muss man sich nicht einmal über allzu schmal geschnittene Budgets den Kopf zerbrechen. Das Rundumprogramm „Stranger than Blues“ bietet Filme, Livemusik, DJs, eine Ausstellung und ein Dinner. Zum Auftakt heute gibt es um 20 Uhr mit „Can’t Take It With You When You Die“ einen Film über den Bluessänger Reverend Deadeye zu sehen, der danach auch live auftreten wird, und am Freitag beispielsweise wird sich Falko Hennig in einem Radio-Hochsee-Themenabend auf die Spuren des Blues begeben. Programm: www.eiszeit-kino.de

Berlin bietet ihnen trotz allem eine gute Ausgangsposition, auch wegen der vielen kleinen Festivals oder Veranstaltungen wie dem Talent-Campus der Berlinale. Alljährlich kommt dort der Nachwuchs bei Workshops und Diskussionen mit den Profis des internationalen Films in Kontakt und bekommt Zugang zu neuen Netzwerken.

Bernhard Bulling würde sich allerdings darüber hinaus wünschen, dass man ambitionierte Independent-Filmer besser subventioniert, auch wenn sie noch nicht bekannt sind: „Die Medienbranche sollte in der Hinsicht mehr Mut zum Risiko haben“, sagt er. (Film-)Kunst lebt schließlich immer noch von der Freiheit, sich inhaltlich nicht zwangsläufig an vorgegebene Rahmenbedingungen halten zu müssen.