BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE : Weiße Männer in Gips
Fettdepots, Muskelschwund und ein bisschen Starrsinn sind klare Anzeichen: Auch Männer kommen in die Wechseljahre. Haben wir endlich auch die biologische Gleichstellung der Geschlechter?
An jenem Sonntag wollte ich ursprünglich nicht nochmal in die Ausstellung „Melancholie“ in der Nationalgalerie. Ich war schon mal einen Nachmittag durchgeschlendert und hatte mir Gedanken darüber gemacht, warum man eigentlich den Depressiven männlichen Geschlechts in der Geschichte oft irgendwas Geniales angedichtet und das ganze zur „Melancholie“ verbrämt hat, während die Depressiven weiblichen Geschlechts heute vor allem als gewichtiger Kostenfaktor in der Krankenkassenstatistik auftauchen.
Hinterher hatte ich allerdings festgestellt, dass ich wichtige Exponate übersehen hatte. Als Britt und Theresa in die Schau wollten, stellte ich mich deshalb anderntags noch mal mit ihnen in der Schlange an.
„Er hat einfach keine Kapazitäten mehr“, sagte Britt gerade, „und dann, immer die gleichen Ansichten, dieses Geschimpfe auf die Politik. Letztens hat er sogar gegen die Arbeitslosen gehetzt. Ich glaube, Thomas ist in den Wechseljahren.“ „Ab 45 geht es los“, fiel Theresa ein, „fast die Hälfte der Männer entwickelt in diesem Alter Symptome der Verweiblichung.“
Das mit der Verweiblichung habe ich auch schon mal in einer medizinischen Fachzeitschrift gelesen: Fettansatz an Brust, Bauch und Taille, Muskelschwund an Armen und Beinen. Schwindender Haarwuchs. Trockene Haut. Dünneres Nervenkostüm.
Übrigens schreibe ich das Wort „Fettansatz“ hier im Ton der Solidarität. Erst neulich war ich wieder leicht gerührt in meiner Klettergruppe, als ich eine Unterhaltung zwischen Winfried und Siegmund über Gewichtsprobleme mitbekam. „Wenn man schon am Bauch zunimmt, ist es besser, auch die Oberschenkel werden gleichzeitig dicker. Ein Bauch und dünne Beine sehen echt scheiße aus“, hatte Winfried gesagt. Seitdem er mit dem Rauchen aufhörte, hat er zugelegt und kriegt die Kilos einfach nicht mehr runter. Männer wie Winfried entlasten mich. Also bleibe ich loyal.
„In der Brigitte Woman stand auch was drüber“, nahm Britt den Faden wieder auf, „diese Alterserscheinung, wenn Männer an ihre beruflichen Grenzen gestoßen sind, wenn sie ausgebrannt sind und dann starrsinniger werden in ihren Ansichten, sich in immer gleichen Tiraden nur noch über Politik, die Gewerkschaften oder irgendwelche Dienstleister erregen. Als Frau soll man dann diplomatisch und souverän bleiben, aber auch klare Grenzen ziehen.“
„Starrsinn, Reizbarkeit, Eigenbrötlertum, alles eine Folge des sinkenden Spiegels an männlichen Hormonen“, gab jetzt auch Theresa mit ihrem Wissen an.
Das mit der Eigenbrötlerei im mittleren Alter habe ich aber auch schon mal gedacht, als ich wieder mal den Text eines männlichen Feuilletonisten um die 50 las, der sinkende Geburtenziffern beklagte und düster einen „Kampf“ um die gebärfähigen, also jungen und knackigen Frauen prophezeite. Könnten diese Ansichten auf männliche Wechseljahresbeschwerden zurückzuführen sein ?
„Der Umgang mit alternden Männern, die an ihre beruflichen Grenzen gestoßen sind, ist doch das eigentliche Thema für die Frauen“, sagte Britt. Es stimmt ja: Mehr als 80 Prozent der Ehen, die schon zehn Jahre dauern, bleiben auch danach noch bestehen. Gemeinsam altern ist realer als die Bild-Zeitungs-Panikmache, nach der sich alle 50-Jährigen mit ihren Assistentinnen davonmachen und die Ehefrauen allein dem Verfall gegenüberstehen, von dem Männer in diesen Geschichten wie durch ein Wunder nicht betroffen sind.
Wir waren in der Schlange vor dem Eingang jetzt ziemlich weit aufgerückt. Es ging schneller, als man dachte. Mein Blick blieb an einem Plakat mit dem Ausstellungstitel hängen: „Melancholie. Genie und Wahnsinn“. Ach je. Diese Überhöhung hat mich schon immer gestört. Am Wahnsinn ist leider wenig Geniales, sonst wären unsere psychiatrischen Abteilungen echte Think-Tanks. Vielleicht entwickeln seelisch labile Menschen gewisse Kreativitäten, um ihr Hirn irgendwie zusammenzuhalten, aber das wär’s dann auch schon.
„Sag mal, was war das eigentlich, was du nicht mitgekriegt hast in der Ausstellung?“, fragte mich Theresa jetzt. Ich erzählte ihr von dem Exponat, dessen Raum ich versehentlich ausgespart habe. Ich kenne die Skulptur vom Foto. Eine große männliche Gipsfigur ist es, die leer blickend in einer Ecke sitzt. Nicht melancholisch, sondern depressiv. Das ist ja nicht dasselbe. „Es soll ein ganz entscheidendes Exponat sein“, sagte ich. Wir sind jetzt fast vorne am Eingang. Diesmal will ich nicht wieder was verpassen.
Fragen zu Mann in Gips? kolumne@taz.de Dienstag: Arno Frank über GESCHÖPFE