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Archiv-Artikel

Keine Vollidioten

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Mit dem Abschluss der Auszählung auch der Stimmen der Auslandsitaliener stand es am Dienstagabend fest: Der frühere Präsident der EU-Kommission Romano Prodi hat die Mehrheit in beiden Häusern des italienischen Parlaments. Die italienischen Emigranten hatten sechs Senatoren und zwölf Abgeordnete zu wählen.

Im Senat fielen vier der Sitze an die Prodi-Koalition, nur ein Mandat ging an das Berlusconi-Lager, und eines wurde von einem Unabhängigen erobert. Damit steht es im Senat 158 zu 156 für Prodi. Hinzu kommen sieben Senatoren auf Lebenszeit; fünf von ihnen sympathisieren mit der Mitte-links-Koalition.

Weit weniger spannend war die Verteilung der zusätzlichen Sitze im Abgeordnetenhaus: Dort verfügte Prodi dank des im italienischen Wahlrecht vorgesehenen Mehrheitsbonus zunächst schon über eine satte Mehrheit von 341 Sitzen; mit den Auslandsmandaten steigt sie auf 348 der 630 Sitze.

Romano Prodi verkündete denn auch, er werde „die Regierung bilden“; zugleich legte er nach, er werde sich dabei „auf die Koalition stützen, mit der ich die Wahl gewonnen habe“. Mit einem Wendeversprechen habe sein Lager von Beginn an um Wähler gekämpft, so Prodi, und das schließe von vornherein alle Gedankenspiele über eine mögliche Öffnung zu Teilen oder gar zur ganzen Berlusconi-Koalition mit der Perspektive einer großen Koalition aus.

Während Prodi sich zum Sieger erklärte, dachte auf der anderen Seite Silvio Berlusconi nicht daran, seine Niederlage einzuräumen. Statt dem Gegner einen Glückwunsch-Anruf zu gönnen, gab Berlusconi für Dienstagabend eine Pressekonferenz. Dort erklärte er, vor Feststellung des endgültigen amtlichen Endergebnisses durch den Kassationsgerichtshof denke er nicht daran, das Wahlergebnis anzuerkennen. Zudem redete er von angeblichen „gravierenden Unregelmäßigkeiten“ beim Votum der Auslandsitaliener.

Trotz des knappen Abstandes von landesweit nur 25.000 Stimmen für die Mehrheit im Abgeordnetenhaus, geht aber niemand ernsthaft davon aus, dass eine Überprüfung plötzlich eine Umkehrung des Resultates bringen könnte; auch zwei Koalitionspartner Berlusconis, die Lega Nord und die christdemokratische UDC, forderten den Verlierer dazu auf, die Niederlage einzugestehen.

Berlusconi selbst weiß offenbar nur zu gut, dass er verloren hat. Nach der Kraftmeierei folgte auf der Pressekonferenz der zweite Akt: Silvio im Schafspelz. Er, der bis zum Wahltag gegen die Linke gehetzt hatte, entschuldigte sich nun sogar für seinen Ausfall gegen die Mitte-links-Wähler, die er als „Vollidioten“ abqualifiziert hatte. Jetzt müsse wieder Ausgleich und Frieden einkehren – am besten gar eine große Koalition, meinte Berlusconi. Schließlich könne Prodi das Land nicht „gegen 50 Prozent der Italiener regieren“.

Prodi dagegen meint, er kann. Der Vergleich mit Deutschland sei völlig unpassend, erklärte der „Professore“ seinerseits; schließlich gebe es in Italien eine regierungsfähige Mitte-links-Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments. Gestern traf der Sieger zu einem ersten Gespräch mit Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi zusammen, um die Modalitäten der anstehenden Regierungsbildung zu eröffnen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Berlusconi sich noch über eine kleine Gnadenfrist von weiteren zwei Monaten als Ministerpräsident freuen darf. Die Amtszeit des Staatspräsidenten nämlich läuft am 13. Mai ab, und Ciampi ist erkennbar wenig geneigt, noch vorher Prodi mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Ende April steht nun erst einmal die Wahl der Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments an; Mitte Mai dann werden die beiden Häuser den Staatspräsidenten wählen, und frühestens Ende Mai ist mit der Bildung der Regierung Prodi zu rechnen.