Wahnsinn auf der Autobahn

Die Journalisten Uli Röhm und Wilfried Voigt enthüllen in ihrem Buch die kriminellen Praktiken einiger großer Spediteure – und wie sie von der Bequemlichkeit der Konsumenten profitieren

Als vor einer Woche der größte Wirtschaftsprozess des Saarlandes gegen die Speditionsfirma Fixemer begann, saß das Unternehmen stellvertretend für viele andere Fuhrunternehmen auf der Anklagebank. Denn die Großspedition mit über 2.000 Fahrern ist nur ein bekannter Exponent der von kriminellen Praktiken durchsetzten Branche. Das zumindest behaupten der ZDF-Journalist Uli Röhm und der ehemalige Spiegel-Redakteur Wilfried Voigt in ihrem Enthüllungsbuch „Tatort Autobahn“.

Sie berichten spektakulär über die kriminellen Machenschaften im Speditionswesen und haben so das Buch zum Prozess geschrieben. Auf 220 Seiten tragen sie die Ergebnisse ihrer mehrjährigen Recherchen zusammen und führen einen wahren Abgrund krimineller Praktiken vor, der von vielen in der Branche als selbstverständlich hingenommen wird. Dabei geht es um die Ausbeutung von Fernfahrern, es geht um Betrug und Sozialdumping, skrupellose Firmen, korrupte Beamte und einen mörderischen Wettbewerb, den die Europäische Union mit der Deregulierung des Transportgewerbes vor 15 Jahren in Gang gesetzt hat.

Röhm und Voigt bereiten deshalb nicht nur besonders krasse Einzelbeispiele journalistisch auf, sondern erklären den historischen und politischen Wandel, der zur Krise der Transportbranche geführt hat. Als Ursachen machen die Autoren die Liberalisierung des einst streng regulierten Transportgewerbes aus – und den Vertrag von Maastricht im Jahr 1992.

Der Verzicht auf die bis dahin staatlich festgesetzten und kontrollierten Transporttarife und die Marktöffnung des europäischen Autobahntransportwesens bis in die ehemaligen Sowjetrepubliken hinein hat zwar zu dem gewünschten Preisverfall geführt. Dafür bezahlen müssen aber vor allem die Speditionen und die dort beschäftigten Menschen. In der Branche arbeiten in Deutschland etwa 550.000 Menschen und setzen jährlich 50 Milliarden Euro um. Arbeitsbedingungen und Entlohnung der 350.000 Fernfahrer haben sich in dem ruinösen Wettbewerb seit Jahren extrem verschlechtert.

Durch die Öffnung des westeuropäischen Güterverkehrs für osteuropäische Speditionen wollte die EU-Kommission einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Osteuropas leisten. Es dauerte nicht lange, bis die dafür an osteuropäische Fuhrunternehmen verteilten und in begrenzter Anzahl verfügbaren Transportlizenzen als Instrument für Lohn- und Sozialdumping systematisch missbraucht wurden – vor allem von den Großspeditionen in Westeuropa.

Die Autoren zeichnen in dem Buch detailliert nach, mit welch krimineller Energie die deutschen Transportfirmen vorgingen. Im großen Stil kauften sich Speditionen wie die saarländische Fixemer oder der Stuttgarter Speditionskonzern Willi Betz in osteuropäische Fuhrunternehmen ein, besorgten sich dort für Millionen Euro Schmiergeld gefälschte Transportlizenzen und schickten tausende Fahrsklaven aus den Billigländern auf Achse. Der Bedarf der Industrie nach ihrer Transportleistung ist bis heute reichlich vorhanden, denn sie ist immer mehr durch „Just in time“-Produktion auf die Lastwagen als mobile Lager angewiesen.

Allein Fixemer wird beschuldigt, mindestens 2.045 osteuropäische Fahrer illegal beschäftigt zu haben. Sie mussten nicht nur für Hungerlöhne arbeiten, sondern auch für Lappalien mit fristloser Entlassung und willkürlichen Geldstrafen ihres Arbeitgebers rechnen. Fixemer und Betz sind nun wegen bandenmäßiger Einschleusung von Ausländern, Betrug, Steuerhinterziehung, Bestechung und Urkundenfälschung angeklagt. Die Ausbeutung der Fahrsklaven bescherte ihnen nicht nur Millionen Gewinne, sondern trieb die ganze Branche in einen Abwärtsstrudel. Mitmachen oder Pleite gehen – das waren die Alternativen für viele Konkurrenten, die sich an Tariflöhne und gesetzliche Vorschriften hielten.

Röhm und Voigt belegen in ihrer peniblen Recherche auch, wie deutsche Beamte von den Speditionsfirmen bestochen wurden – darunter sogar der Chef der saarländischen Steuerfahndung und der Vizepräsident des Bundesamts für Güterverkehr. Neben diesen bekannten Fällen liefern die Autoren neue Erkenntnisse über einen Spitzenbeamten im Bundesverkehrsministerium, der möglicherweise rechtswidrige Kontakte zu Fixemer unterhalten hat.

In dem Buch blitzt immer wieder die Sachkenntnis der Autoren auf – manchem Leser mag das hin und wieder etwas übertrieben erscheinen, wenn genaue Kalkulationen, rechtliche Vorschriften und Geldströme aufgelistet werden. Auch ist „Tatort Autobahn“ leider nicht übermäßig gut lektoriert, was sich in auffällig vielen Wiederholungen zeigt. Doch dagegen steht die inhaltliche Dichte dieses Schwarzbuchs, das von der ersten bis zur letzten Seite spannend und erhellend zu lesen ist.

Auch wenn die Autoren nicht behaupten, die kriminellen Praktiken seien für die ganze Branche typisch, so ist die Systematik und das Ausmaß der geschilderten Einzelfälle Besorgnis erregend – zumal selbst die Polizei davon ausgeht, das 96 Prozent der Verstöße unentdeckt bleiben. Möglich wurden sie durch die Deregulierung der Transportbranche. Das Buch liefert genügend Belege dafür, wie sie sich zu einem schockierenden Beispiel für blinde Marktgläubigkeit entwickelte.

„Tatort Autobahn“ erinnert zudem uns Konsumenten unangenehm daran, wie selbstverständlich wir den Wahnsinn auf der Autobahn hinnehmen und wie stillschweigend wir von den skandalösen Verhältnissen durch billige Transportkosten profitieren. Doch diese von Geiz und Bequemlichkeit geprägte Lebensweise fordert ihren Preis: Ähnlich wie bei den Fleischskandalen ist auch im Speditionsgewerbe einiges faul. TARIK AHMIA

Uli Röhm/Wilfried Voigt: „Tatort Autobahn. Kriminelle Machenschaften im Speditionswesen“. Campus Verlag, Frankfurt am Main, 222 Seiten, 19,90 Euro