: Diesseits von Gut und Böse
Mahmood Mamdani wehrt sich in seinem neuen Buch überzeugend gegen alle Vereinfachungen à la „Guter Moslem, böser Moslem“. Das macht die Lektüre nicht leicht, aber lohnend
VON RENÉE ZUCKER
Wer ist ein guter Moslem, wer ein böser? Darüber dürfen sich die Fundamentalisten der gegnerischen Lager streiten. Aber abgesehen davon, dass sie naturgemäß unterschiedlicher Ansicht sind, eint sie eines: Sie halten den Islam nicht nur einfach für eine religiöse oder kulturelle Identität, sondern für ein politisches Bekenntnis.
Dass der Kampf der Kulturen in Wirklichkeit ein politischer Kampf ist, will der in Indien geborene und in Uganda aufgewachsene Mahmood Mamdani in seinem neuesten Buch aufzeigen. Für ihn ist der westliche Kampf gegen den Islam auch der plötzlichen Politisierung des Begriffs der Kultur geschuldet, die wir seit Ende des Kalten Krieges und verschärft seit dem 11. September 2001 erleben.
Früher hätten uns sozioökonomische Entwicklungen, Reichtum und Armut, Demokratie und Diktatur beschäftigt. Nie hätten Kultur und Religion im politischen Diskurs eine so große Rolle wie heute gespielt. Heute sei Kultur angeblich zu einer Frage von Leben und Tod geworden. Bush und Bin Laden bedienen sich einer religiösen Sprache, in der Begriffe wie Gut und Böse herausragen, obwohl beide keine Theologen, sondern Politiker sind, so Mamdani. Beide dämonisierten den Gegner, beide bewegten sich in der Auseinandersetzung auf dem Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Niveau. Beide hielten ihren Kampf für einen Kampf gegen das Böse.
Sobald der politische Gegner als das Böse definiert sei, werde der Kampf gegen ihn zum heiligen Krieg, und in einem heiligen Krieg gibt es keine Kompromisse, „Das Böse kann nicht verändert, das Böse muss ausgetrieben werden“, schreibt Mamdani in seinem neuen Buch. Darin allerdings beschäftigt er sich weniger mit guten oder bösen Moslems als vielmehr mit dem islamistischen Terror, Amerikas Wurzeln und weitreichenden Verflechtungen im globalen Terrornetz.
Wie für Arundathi Roy sind für Mamdani die USA und die al-Qaida im „Terrorkrieg“ Gegner vom gleichen Schlag. Beide seien Veteranen des Kalten Krieges, in dem sie teilweise auf der gleichen Seite standen; beide durchdrungen von einer ideologisch-aufgeladenen Weltanschauung, die den straflosen Gebrauch der Macht und damit auch Gewalt rechtfertigt. „Zwischen der amerikanischen Bombardierung des Irak und Afghanistans und den Bombenanschlägen von al-Qaida, nicht zuletzt auch den Anschlägen auf die Twin Towers, besteht eine bizarre Ähnlichkeit: Beide Seiten demonstrieren, dass bei ihrem Kampf um die Macht der Rest der Welt nur noch ‚kollateral‘ existiert.“
Allerdings, räumt er ein, finde die moralische Äquivalenz politisch keine Entsprechung. Am globalen Charakter der US-Macht, „angesichts deren ein Netzwerk wie al-Qaida nur als unbedeutend beschrieben werden kann, besteht nicht der geringste Zweifel“.
Mamdanis Thesen dürften für viele Leitartikler unerfreulich sein. So verhindert er alle angenehm vereinfachenden Schwarz-Weiß-Urteile à la guter Moslem, böser Moslem. In erster Linie will er aber beweisen, dass wir keinem Kampf der Kulturen beiwohnen, sondern uns mitten in einer knallharten politischen Auseinandersetzung befinden. Postkolonial und globalisiert. Nicht umsonst zitiert der Anthropologe und Politikwissenschaftler Mamdani am Anfang seines Buches Frantz Fanon, das Menschen zum Nein verpflichtet: „Nein zur Missachtung des Menschen. Nein zur Herabwürdigung des Menschen. Nein zur Ausbeutung des Menschen.“
Interessant an Mamdanis Buch, das keine unbekannten Informationen enthält, ist der afrikanische Hintergrund des Autors. Immer wieder vergleicht er die westliche Sichtweise im Kalten Krieg auf Afrika mit der heutigen auf die Länder des Islam. „Ein Unterschied sticht klar ins Auge: Während des Kalten Kriegs wurden Afrikaner als das Beispiel für Völker stigmatisiert, die offensichtlich zur Moderne unfähig seien. Vom Islam wird „in seinem harten Kern angenommen, dass er zur Moderne nicht nur unfähig, sondern auch unwillig ist“.
In der Tradition des antikolonialen Revolutionstheoretikers Fanon buchstabiert Mamdani noch einmal die amerikanisch-kolonialistischen Einsätze in Indochina, Afrika, Afghanistan und Irak durch. Die gesamte Kalte-Kriegs-Landschaft von den Sechzigerjahren an ist wieder da. Wir erinnern uns, dass Bob Dylans Rolling Thunder Tour ja ihren Namen der Operation Rolling Thunder, der Bombardierung Nordvietnams unter Präsident Johnson, verdankte; wie die CIA sowohl in Südostasien als auch im Kongo manipulierte und lokale Söldner für ihre Stellvertreterkriege ausbildete und wie sie diese Kämpfe mit dem Drogenhandel finanzierte. Wir erfahren noch mal die Hintergründe der Iran-Contra-Affäre, nachdem sich der Schwerpunkt des Kalten Krieges vom südlichen Afrika unter Ronald Reagan in den Achtzigern nach Zentralamerika verlagert hatte.
Denn die Strategie lautete, antikommunistische Bewegungen von Afghanistan bis Nicaragua zu stützen, um gegen prosowjetische Regierungen zu kämpfen, was bedeutete, sich mit rechtsgerichteten Diktatoren zu verbünden, um linke anzugreifen. Linke Diktaturen galten in dieser Weltanschauung als totalitär und rechte als autoritär – nach dieser Einstufung waren „totalitäre“ Regime unfähig zur Reform, man musste sie stürzen, während autoritäre grundsätzlich zur Reform fähig und nur dazu angestoßen werden müssten.
Das ist eine hässliche, aber für eine Weltmacht einleuchtende Chronologie amerikanischer Außenpolitik, deren erfolgreichster Schlag gegen die Sowjetunion eindeutig der Vorstoß in die islamische Welt war – ebenfalls noch unter Reagan arbeiteten hier CIA und der pakistanische Geheimdienst zusammen. Damit einher ging die Aufrüstung der Mudschaheddin, die den Sowjets in Afghanistan ein Vietnam bescheren sollten, von dem sie sich nicht mehr erholen würden. Die Amerikaner organisierten den afghanischen Dschihad gegen die Sowjetunion, und gleichzeitig spalteten sie sunnitische und schiitische Moslem. Und das bis heute.
Mamdani schreibt am Schluss: „Um den Kampf gegen den Terrorismus zu gewinnen, wird man akzeptieren müssen, dass sich die Welt verändert hat, dass es den alten Kolonialismus nicht mehr gibt und dass es Geld und Menschenleben kostet, wenn man fremde Territorien besetzt. Amerika kann nicht die ganze Welt besetzen. Es muss lernen, in der Welt zu leben“. Sein Buch lässt einen jedoch an der Lernfähigkeit der USA zweifeln.
Mahmood Mamdani: „Guter Moslem, böser Moslem. Amerika und die Wurzeln des Terrors“. Aus dem Englischen von Sophia Deeg, Nautilus, Hamburg 2006, 19,90 Euro