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Archiv-Artikel

Schöne alte Welt

Das neue Urheberrecht ermöglicht die Digitalisierung öffentlich zugänglicher Bücher. Diese Regelung entzieht den Verlagen auf lange Sicht die Existenzgrundlage

Wir schreiben das Jahr 2084. Nach einem heftigen Verteilungskampf um das digitale Weltwissen hat das Unternehmen Googlezon sich durchgesetzt und verlangt für digitale Informationshäppchen aus seiner Bibliotheca Galactica gigantische Preise. Die öffentlichen Bibliotheken sind mittels umfassender Kooperationsverträge mit Googlezon in die Scheinselbständigkeit überführt.

Viele Verlage sind schon seit Jahren in einer Klagewelle von Übersetzern oder Semiprominenten, die ihr Lebensbild durch eine nicht korrekt beschriebene Krawatte verletzt sehen, untergegangen – die wenigen verbliebenen Verlage präsentieren überwiegend Liebhaberangebote, noch auf bedrucktem Papier.

„Wie ist es so weit gekommen? Wir blicken zurück in das Jahr 2006 – Anfänge der drohenden Malaise zeichnen sich bereits ab: Deutschland steht vor einer neuerlichen Reform des Urheberrechts. Die Gesetzesnovelle trägt den Namen „zweiter Korb“, ein Füllhorn mit Geschenken und Wohltaten verbirgt sich dahinter für die Verlage allerdings nicht. Eine der beabsichtigten Neuregelungen, § 52b des Urheberrechtsgesetzes, liegt ihnen schwer auf der Seele. Dieser umstrittene Gesetzesparagraf besteht im Wesentlichen aus einem Satz, der in dem ursprünglichen Gesetzesentwurf noch lautete:

„Zulässig ist, veröffentlichte Werke aus Bibliotheksbeständen ausschließlich in Räumen öffentlich zugänglicher Bibliotheken an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich zu machen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen.“ Der Wortlaut soll aber in einer nunmehr vorliegenden überarbeiteten Fassung eine entscheidende Wendung erfahren: Die Worte „aus Bibliotheksbeständen“ sollen entfallen, während ergänzt wird, dass neben den Bibliotheken auch Museen und sonstige nichtkommerzielle Archive in den Genuss dieser Regelung kommen.

Diese Änderung offenbart das ganze Ausmaß der zunächst harmlos scheinenden Regelung: Bibliotheken, Museen und Archive sollen berechtigt werden, jedes Werk, ob in den Bibliotheksbeständen vorhanden (und damit zumindest einmal von einem Verlag erworben) oder nicht, an beliebig vielen elektronischen Leseplätzen innerhalb der Institution zugänglich zu machen. Einmal digitalisiert und untereinander ausgetauscht, schon wird die kleinste Dorfbibliothek zum globalen Wissenspool. Es dürfte nur ein schwacher Trost für die Verlage sein, zu deren Hauptabnehmern bislang die Bibliotheken zählten, dass hierfür eine Vergütung an die Verwertungsgesellschaften und damit mittelbar an die Verlage zu zahlen ist, deren Höhe zudem bisher niemand kennt. Da verwundert es wenig, wenn die Buchverlage, und ihnen voran der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, den Niedergang der alten Verlagswelt befürchten und für eine Einschränkung dieser Privilegien kämpfen – zumal der „zweite Korb“ weitere faule Früchte enthält.

Die Politiker können den Wirbel nicht verstehen: Es gehe doch um den Bildungsauftrag öffentlicher Institutionen, um die Förderung der Medienkompetenz der Bevölkerung, und schließlich würden die Bibliotheken doch auch eine „Selbstverpflichtung“ erklären, wonach ihr Anschaffungsverhalten trotz der neuen gesetzlichen Möglichkeiten nicht geändert würde. Schön, wenn die Politik das Wohl des Volkes so konzentriert im Auge behält und dabei – welch angenehmer Nebeneffekt – keinerlei Kosten die Bundes- und Länderhaushalte belasten. Im Gegenteil, es lassen sich Kosten einsparen, da weniger Bücher gekauft und mehr Inhalte digital angeboten werden können. Ja, und die Selbstverpflichtung der Bibliotheken? Die dürfte ungefähr so viel wert sein wie ein Versprechen im Wahlkampf.

„Schöne alte Welt“, denken wir dann im Jahre 2084, „von der nichts geblieben ist“. Nichts? Doch, die taz hat sämtliche Krisen überlebt – trotz aller Klagewellen und einer öffentlichen Hand, die sich manchmal selbst die Hand reicht.

KONSTANTIN WEGNER

Hinweis: KONSTANTIN WEGNER, Jahrgang 1970, ist Rechtsanwalt, spezialisiert auf Medienrecht. Er lebt in München. 2002 erschien sein Fachbuch „Der Sponsoringvertrag“ (Nomos Verlag).