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Archiv-Artikel

Hoffnungsloser Fall

Erfolgsdruck: Österreicher zum Doping gezwungen

(Krankenzimmer einer psychiatrischen Abteilung. Ein männlicher Patient mittleren Alters, mit dem Rücken zum Publikum auf seinem Bett sitzend, verfolgt die Übertragung eines Biathlon-Wettkampfs im Fernsehen. Der Primarius tritt ein, gefolgt von Schwestern, Pflegern, Studentinnen und Studenten. Der Patient zeigt keine Reaktion.)

PRIMARIUS (zu den Studenten): Patient Nummer vier, zweiundfünfzig, zuletzt tätig als Fremdenverkehrsreferent. Schwere Demenz. Sämtliche Therapien ergebnislos. (Zum Patienten:) Wie geht’s uns denn heute? Was schauen wir denn da?

PATIENT (ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden): Fußball. SV Spittal–Vöcklabruck. (Vor sich hin, dumpf:) Hier – regiert – der Es Vau Es.

EIN STUDENT: Also, wenn Sie mich fragen, ist das Biathlon.

PATIENT: Biathlon unbekannt. Falls existent, uninteressant.

PRIMARIUS (zu den Studenten): Sehen Sie das Problem?

DER STUDENT: Aber der Mann hat Recht! Biathlon interessiert niemanden! Wenn die nicht doperten wie die Depperten, schauert das kein Schwein!

PRIMARIUS: Möglich. Aber das Problem liegt tiefer. (Zum Patienten:) Wer ist Benjamin Raich?

PATIENT: Unbekannt. (vor sich hin, dumpf): Hier – regiert – der Es Vau Es. Hier …

PRIMARIUS (ist hinter ihn getreten und legt ihm die Hand auf die Schulter): Mein Lieber. Sehen Sie aus dem Fenster. Es schneit. Niemand spielt im Winter Fußball. Man treibt anderen Sport. Die Leute fahren Ski. Laufen lang. Tanzen Eis. Gerade Österreich ist ein Paradies des Wintersports. Sie als Fremdenverkehrsreferent.

PATIENT: Spittal spielt immer.

EINE STUDENTIN (zum Primarius): Ich gebe zu, das ist ein schwieriger Fall. Aber ich würde gern etwas versuchen. Darf ich?

PRIMARIUS: Ich bitte darum.

DIE STUDENTIN (zum Patienten, nervös): Der Name Klammer sagt Ihnen doch etwas, oder?

PATIENT: Gendarmeriekommandant von Kärnten. Leider schon in Pension.

STUDENTIN (noch nervöser): Aber Hermann Maier kennen Sie?

PATIENT: Selbstverständlich. Diesen hochbegabten Japanologen aus Greifenburg im Drautal kennen die wenigsten.

STUDENTIN (verzweifelt): Karl Schranz! Toni Sailer! Bitte! Sailer und Schranz!

PATIENT: Unbekannt. (Vor sich hin, dumpf:) Hier – regiert – der Es Vau Es.

(Die Studentin wird ohnmächtig. Schwestern und Pfleger kümmern sich um sie. Der Primarius schickt sich an, mit den anderen das Zimmer zu verlassen.)

STUDENT (mit Blick auf die Studentin): Irgendwie kann ich sie verstehen. Es gibt keine Hoffnung für ihn, nicht wahr?

PRIMARIUS: Keine Hoffnung.

STUDENT: Das ist traurig.

PRIMARIUS: So ist das in unserem Beruf. (Vorhang) A. FIAN

Fotohinweis: ANTONIO FIAN wurde 1956 in Klagenfurt geboren. Er kommentiert das österreichische Geistesleben. 1990 Staatspreis für Kulturpublizistik.