: Ein sehr beschwingtes Luftschloss
Die Hamburger wollen in die Weltliga der Konzerthallen aufsteigen. Der Bau der Elbphilharmonie ist beschlossene Sache – ein Rätsel bleibt, wie man jährlich 800.000 Zuschauer in den Kulturtempel locken will
HAMBURG taz ■ Die Oper in Sydney ist das Vorbild. Ein weithin sichtbares Wahrzeichen der Stadt, wirksam als Anziehungspunkt und Leuchtturm. So ein Gebäude will auch Hamburg haben: die Elbphilharmonie. Mit diesem Konzerthaus am Rande ihrer Hafencity wollen die Hamburger endlich Musikmetropole werden.
Viel Geld für Hamburgs neues Wahrzeichen ist schon vorhanden. Großbürgerliche Mäzene stellten bislang 50 Millionen Euro zur Verfügung, die Stiftung Elbphilharmonie sammelte auch schon fast 10 Millionen Euro ein. Insgesamt wird der Bau 196 Millionen Euro kosten, wovon die Stadt maximal ein Drittel tragen will. Die Betriebskosten sollen aus den Kapitalerträgen der Stiftung sowie durch einen jährlichen Zuschuss der Stadt von 2,5 Millionen Euro finanziert werden.
Auch die ersten vier, von Headhuntern ausgeguckten Kandidaten für die Intendanz stellen sich gerade vor. Im Mai entscheidet sich, wer das Haus leiten wird, das im Herbst 2009 eröffnet werden soll. Residenzorchester wird das Symphonieorchester des Norddeutschen Rundfunks, so viel ist klar.
Das Gebäude wird kommen. Aber was dann? Wo sind die Inhalte, die nachhaltig über Jahrzehnte ein so ambitioniertes Projekt am Leben erhalten – 365 Tage im Jahr? Die 35 Konzerte der NDR-Symphoniker und auch die 18 geplanten Konzerte des Philharmonischen Staatsorchesters reichen nicht, um die 2.200 Plätze des großen Saals zu füllen. Rechnet man alle Orchester der Stadt, ihre rund 80 Konzerte sowie die des Veranstalters Karsten Jahnke zusammen, kommt man im Jahr auf gerade mal 150 Abende. Auch verfügt Hamburg über keine freien Ensembles von Rang, über kein national oder international herausragendes Orchester. Bleiben also nur teure Gäste und prominente Namen, um das Haus zum Leuchten zu bringen – aber wirtschaftlich erfolgreich betreiben ließe sich das ambitionierte Projekt so wohl nicht. Um ein solches Gebäude wirklich effektiv zu bespielen, müsste hart in die internationale Konkurrenz um Spitzenkünstler eingestiegen werden. Anne-Sophie Mutter und Lang Lang müssten sich wöchentlich die Klinke in die Hand geben – die hohe Nachfrage könnte die Topgagen weiter steigen lassen. Zudem fehlt es nicht nur an hochbezahlten Stars: Will die Elbphilharmonie musikalisch in der Weltliga mitspielen, braucht sie auch ein eigenes erstklassiges Orchester.
Doch nachdem die Architekten Herzog & Meuron ihre futuristische Glaswelle auf den in den 1960er Jahren erbauten Kaispeicher A gesetzt hatten, war die Begeisterung für dieses Gebäude so groß, dass niemand mehr zu fragen wagte, ob Hamburg überhaupt ein solches Konzerthaus braucht. Denn bisher gibt es nur die gute, alte Musikhalle, die jetzt Laeiszhalle heißt. Aber die eignet sich weder für große Orchester noch für die Musik des 20. Jahrhunderts, konzertiert wird frontal und von oben herab. Sie hat kein hübsches Foyer, keine Parkplätze und Lobby schon lange keine mehr. Vor allem ist sie ein reiner Vermietbetrieb – was gespielt wird, ist oft schlecht besucht. An Zuschauerplätzen mangelt es jedenfalls selten.
Da schwappt die 103 Meter hohe Glaswelle der neuen Elbphilharmonie gerade richtig auf verödetem Konzertboden. Innen ist sie nach dem Arena-Prinzip gebaut, was einen demokratischen Musikgenuss verspricht, ein neues Miteinander von Klang und Raum, wie man es ähnlich aus der Berliner Philharmonie kennt.
Die Elbphilharmonie beeindruckt also nicht nur architektonisch und durch ihren herausragenden Standort an der Elbe, sie ist auch das bislang einzige bestechende Projekt der neuen Hafencity. Was dort entstanden oder geplant ist, lässt nicht auf ein lebendiges, heterogenes Stadtviertel hoffen, sondern auf investorengetriebenes Immobilieneinerlei. Somit kommt dem neuen Wahrzeichen auch noch die Aufgabe zu, diesen Stadtteil zu beleben. Doch wie? Wenn die Elbphilharmonie eröffnet ist, soll sich die Zahl der Musikveranstaltungen in Hamburg um 50 Prozent auf 600 pro Jahr erhöhen, die Zahl der Besucher sich auf 800.000 verdoppeln. Ist das realistisch? Touristen kommen meistens nur einmal oder erst nach vielen Jahren wieder. Und das Vorbild Sydney kann keines sein, weil es ein Opern- und kein Konzerthaus ist. HELLA KEMPER
Fotohinweis: HELLA KEMPER, 39, arbeitet als freie Autorin und Kulturjournalistin in Hamburg und gehört zur Redaktion von „Die Zeit Geschichte“. 2003 erschien ihr Buch „Sammellust“ und in diesem Jahr folgt „Elbschwimmer“.