: Schanghai ein bisschen freier
CHINA Die Stadt eröffnet eine neue Freihandelszone. Ausländische Banken dürfen erstmals auf chinesischem Staatsgebiet mit Finanzdienstleistungen spekulieren – ein Pilotprojekt
AUS PEKING FELIX LEE
Sonderwirtschaftszonen gibt es in China zwar schon viele. Fast jede größere Stadt hat einen Teil, in dem Unternehmen Steuer- und Handelserleichterungen oder spezielle Investitionshilfen bekommen. Nun lässt die chinesische Führung auf dem Staatsgebiet der Volksrepublik aber erstmals eine komplette Freihandelszone zu.
Seit Sonntag dürfen Chinesen und Ausländer auf der Halbinsel Pudong in der 20-Millionen-Metropole Schanghai offiziell frei mit Finanzdienstleistungen handeln. Vor allem ausländische Unternehmen kommen zum Zuge: Ihnen wird erlaubt, mit chinesischen Geldgebern Banken zu gründen, Versicherungspolicen zu verkaufen und ins Anlagegeschäft einzusteigen. Außerdem erhalten Nichtchinesen mehr Geschäftsmöglichkeiten im Anwaltswesen, in der Touristik und im Internetgeschäft.
Auch die Freigabe der bisher in China gesperrten Internetseiten der New York Times, von Facebook und Twitter ist im Gespräch. Angeblich soll in der rund 29 Quadratkilometer großen Zone zudem schon bald die chinesische Währung frei gehandelt werden. Bislang ist der Yuan an den US-Dollar gekoppelt und darf nur in einer sehr kleinen Bandbreite schwanken.
All das ist neu für China. Der Kapitalmarkt ist streng reguliert, die Banken sind staatlich, für sie gilt ein von der Zentralbank festgelegter Einheitszinssatz. Und nur wenigen ausländischen Banken und Versicherern waren bislang Geschäfte auf dem chinesischen Kapitalmarkt erlaubt. Die chinesische Führung fürchtete, ein allzu liberalisierter Finanzmarkt könnte zu heftigen Schwankungen führen und ihre Reformpläne durcheinanderbringen.
Doch der neue Premierminister Li Keqiang sieht immer mehr die Kehrseiten eines allzu abgeschotteten Kapitalmarktes. Für die chinesischen Sparer gibt es kaum Anlagemöglichkeiten, weswegen sie einseitig in Immobilien investieren – was wiederum die Preise für Häuser und Wohnungen anheizt. Sorge bereitet ihm vor allem aber, dass die eigenen Banken zu ineffizienten Giganten herangewachsen sind, die finanziell fragwürdige Großprojekte, aber zu wenig kleine und mittlere Unternehmen finanzieren. Diese leihen sich dann Geld von dubiosen Schattenbanken – dies jedoch zu horrenden Zinssätzen und außerhalb jeglicher Regulierung.
Li Keqiang will nun aufräumen. Und wie einst die Sonderwirtschaftszonen ausländische Unternehmer anzogen, die eine Industrie aufbauten, hofft er, dass eine Freihandelszone ausländische Banker anlockt, um ein international wettbewerbsfähiges Finanzsystem in China zu schaffen.
Der linke Flügel innerhalb der chinesischen Führung dagegen befürchtet, die unterschiedlichen Zins- und Währungsregeln würden zur Spekulation genutzt werden. Das Ungleichgewicht zwischen der reichen Küstenstadt Schanghai und dem in weiten Teilen armen Binnenland könne noch größer werden. Wenn auch aus anderen Motiven erhalten die Kritiker Unterstützung von den mächtigen Staatsbanken. Diese fürchten um ihr Quasimonopol.
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