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Archiv-Artikel

Mal mit der Merkel reden

SPD-PARTEIKONVENT Genossen für Sondierungsgesprä-che mit der Union. Mitgliedervotum soll über möglichen Koalitionsvertrag entscheiden

Bevor es um Inhalte geht, stecken Partei und Fraktion die personellen Claims ab

AUS BERLIN ANJA MAIER

Ulrike Bahr hat eine anstrengende Woche hinter sich. Am 22. September hat die Augsburger Hauptschullehrerin ein Bundestagsmandat gewonnen. Und schon bei den Fraktionssitzungen am Dienstag und Mittwoch in Berlin und dann beim SPD-Konvent am Freitagabend hat die 49-Jährige erlebt, was das heißt, wenn die Sozialdemokraten die Krise kriegen.

Ulrike Bahr, die Neue in der SPD-Bundestagsfraktion, war dabei, als die Genossen im Willy-Brandt-Haus stundenlang darüber diskutierten, ob sie nach ihrem mäßigen 25,7-Prozent-Ergebnis bei der Bundestagswahl mit der Union koalieren sollten. Oder besser: ob sie überhaupt mit Merkel reden möchten.

Und ja, sie sollen. Mit fünf Gegenstimmen und drei Enthaltungen haben die Genossen den Weg freigemacht für Sondierungsgespräche. Nach einer ersten Runde, die in dieser Woche stattfinden könnte, soll der Parteikonvent erneut tagen und darüber entscheiden, ob Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden. Falls ja, soll nach Abschluss dieser Verhandlungen ein „bindendes Mitgliedervotum“ darüber befinden, ob die SPD dem Koalitionsvertrag zustimmt. Ein riskantes Verfahren, das die SPD im Falle eines Scheiterns als Chaostruppe dastehen ließe. Und an dessen Ende die Parteiführung kippen könnte.

Ulrike Bahr ist zufrieden mit diesem ersten Ergebnis. „Sehr konstruktiv“ fand sie die Stimmung unter den Delegierten, „mutig“ das Verfahren. Großen Respekt hat sie davor, dass Parteichef Gabriel „sich einlässt. Er geht ein Risiko ein, das ist anerkannt worden.“ Messlatte für alle weiteren Schritte müsse aber das SPD-Wahlprogramm sein: „Es kommt auf unsere Inhalte an.“

Bevor es jedoch um ebendiese geht, stecken Partei und Fraktion schon mal die personellen Claims ab. Laut Medienberichten möchte die SPD in einer schwarz-roten Regierung sechs Ministerposten beanspruchen. Zudem steht bereits die Besetzung der Verhandlungsdelegation fest. Neben der Führungstroika aus Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück sollen ihr Generalsekretärin Andrea Nahles sowie die Ministerpräsidenten Olaf Scholz und Hannelore Kraft angehören.

Für den gescheiterten Kanzlerkandidaten Steinbrück würden die möglichen Verhandlungsgespräche zur persönlichen Abschiedsrunde: er werde kein weiteres Spitzenamt in der SPD anstreben, verkündete er am Freitagabend.

Kraft, stellvertretende SPD-Vorsitzende und entschiedene Kritikerin einer Großen Koalition, schraubte die Erwartungen auf eine zügige Einigung unterdessen herunter. Sondierungsgespräche seien noch keine „Schnellstraße in Richtung Große Koalition“, sagte sie dem WDR. „Wir werden unsere Inhalte nicht auf dem Ramschtisch verhökern.“ Man habe „keine Angst vor einer großen Koalition. Wir haben aber auch keine Angst vor Schwarz-Grün oder Neuwahlen.“

Ulrike Bahr sieht nun Arbeit auf sich zukommen. 1.500 GenossInnen in 21 Ortsvereinen gibt es allein in ihrem Unterbezirk. Ob die nach dem mäßig erfolgreichen SPD-Wahlkampf schon wieder für ein mögliches Mitgliedervotum zu mobilisieren sind? „Sondierungsgespräche“, sagt Bahr, „sind selbstverständlich, aber der Maßstab sind und bleiben die Inhalte.“

Genauso sieht das Parteichef Gabriel. Seine SPD gehe „selbstbewusst in die Gespräche“. Man habe den Auftrag der Wähler, für einen Politikwechsel zu sorgen, „insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, bei Löhnen, bei der Entwicklung des Bildungssektors, bei Kommunen“. Zwei Knackpunkte fehlten in seiner Aufzählung: das Betreuungsgeld der Union und Steuererhöhungen.

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