Krimi am grünen Tisch

Während Snooker in seiner Heimat ökonomisch kriselt, erlebt der Sport im Rest der Welt einen Boom. Die Weltmeisterschaft bleibt aber trotzdem weiterhin eine weitgehend britische Angelegenheit

VON SUSANNE BURG

Touristen kommen nach Stirling, um sich die alte Burg anzusehen oder die Brücke zu suchen, auf der 1297 die schottischen Freiheitskämpfer die Engländer in die Flucht trieben. Marco Fu reist alle paar Wochen in die Kleinstadt nördlich von Edinburgh, um seinen Manager Ian Doyle zu treffen. Fu, 28-jähriger Snooker-Profi, pendelt zwischen Happy Valley und Stirling. Happy Valley liegt nur dreizehn Flugstunden von Schottland entfernt – in Hongkong.

Es war kein gutes Jahr für Marco Fu. Er hat es als Nummer 24 der Weltrangliste begonnen. Nun steht der Asiate auf Rang 41. Aber immerhin hat er sich für die Weltmeisterschaft in Sheffield qualifiziert. Das schafft selten jemand, der nicht Waliser, Schotte, Ire oder Engländer ist. Fu, der heute bei seinem Auftaktspiel gegen den Iren Alan McManus antritt, ist einer von nur drei Nichtbriten bei dieser WM – neben dem Australier Neil Robertson und James Wattana aus Thailand, der allerdings am Samstag bereits in der ersten Runde ausgeschieden ist – gegen den amtierenden Weltmeister Shaun Murphy.

Auch wenn das Starterfeld bei der noch bis zum 1. Mai laufenden WM nicht darauf hinweist: Seit Jahren boomt diese Königsdisziplin des Billards außerhalb von Großbritannien. Die Menschen lieben das Hin-und-Her-Wogen der Spielverläufe, die maschinengleiche Präzision, mit der die Spieler eine Kugel nach der anderen über den vier Meter langen Tisch in eine der unfassbar kleinen Taschen schicken. Die Einschaltquoten steigen kontinuierlich an – um 25 Prozent etwa in Deutschland, wo mittlerweile 700.000 Zuschauer das Spiel bei Eurosport verfolgen. Vereine können sich vor Neuanmeldungen kaum retten: Die Anzahl der Klubs, in denen auch Snooker gespielt wird, hat sich in Deutschland in den letzten drei Jahren verdoppelt. In anderen Ländern ist der Boom noch größer, am drastischsten in China, wo der kometenhafte Aufstieg des 19-jährigen Ding Junhui eine ungeahnte Snooker-Begeisterung ausgelöst hat.

Und dennoch ist dieses Spiel, das britische Offiziere im 19. Jahrhundert im fernen Indien erfunden haben, nie richtig über die eigenen Landesgrenzen hinaus gekommen. Wer Profi werden will, muss ins Snooker-Paradies reisen, nach Großbritannien. Hier sind die Trainer, die Gegner, die wichtigen Turniere, die Sponsoren. Dieser Kosmos war bisher groß genug, dass er sich selbst erhalten konnte. Fünf Millionen Briten saßen regelmäßig vor den Fernsehern, wenn die BBC Snooker übertrug – nur Fußballübertragungen erzielten bessere Einschaltquoten. Unvergessen ist das „Black ball final“ zwischen Steve Davis und Dennis Taylor, in dem Taylor 1985 mit dem letzten aller möglichen Bälle die Entscheidung herbeiführte. 18,5 Millionen Zuschauer wohnten diesen Krimi vor dem Fernseher bei. Keine andere Sportübertragung hat in Großbritannien je wieder solche Einschaltquoten erzielt. Kein Wunder also, dass sich Sponsoren um Werbeverträge rissen und Snooker-Stars wie Stephen Hendry, Steve Davis oder Ronnie O’Sullivan zu mehrfachen Millionären wurden.

Doch bei all den Erfolgen ist Snooker fett und faul geworden. Sagen die Kritiker. Das Interesse der Medien und die Sponsoreneinnahmen sind geschrumpft. Finanziell ging es in den letzten Jahren so steil bergab, dass die Snooker-Weltmeisterschaft am Samstag mit heftigen Missklängen begann. „Die Funktionäre haben das Spiel in Grund und Boden gewirtschaftet“, empörte sich die Snooker-Legende Alex Higgins im britischen Rundfunk. Die Spieler hätten die Nase gestrichen voll, stimmte der Manager Ian Doyle in den Klagegesang mit ein. „Man kann Snooker-Spielen derzeit nicht als Job betrachten“, hatte sich schon einige Tage zuvor der walisische Profi Matthew Stevens beschwert: „Wir hatten in diesem Jahr Turniere in Malta und China, aber das Preisgeld ist fürchterlich.“

Sir Rodney Walker, der Vorsitzende des Snooker-Weltverbandes World Snooker Association räumte ein, dass seine Organisation in den letzten vier Jahren 4,3 Millionen Euro verloren hätte. Nicht nur die Preisgelder wurden drastisch reduziert, auch die Zahl der Turniere. Statt acht Weltranglistenturnieren gibt es in dieser Saison nur sechs. „Die Leute reden über die Weltrangliste, aber wie kann man Spieler bei nur sechs Turnieren bewerten?“, fragt sich nicht nur Stevens.

So sehr waren die Matches übers Jahr verstreut, dass die Spieler kaum Wettkampfpraxis sammeln konnten. Keiner der Profis hat kontinuierlich gut gespielt. Auch Ronnie O’Sullivan, der „Mozart am Snooker-Tisch“, der heute in Sheffield ins Turnier mit seinem Auftaktmatch gegen Dave Harold einsteigt, ließ bislang sein nahezu schwereloses und geniales Spiel vermissen. Stattdessen schied er gleich bei zwei Turnieren früh aus.

Ein Publikumsliebling nach dem anderen wurde in dieser Saison die Weltrangliste nach unten durchgereicht. So hat die Weltmeisterschaft ohne eindeutigen Anwärter auf die begehrteste Trophäe der Snooker-Welt begonnen und mit der Sorge, wieder könnten die Garanten für gute Einschaltquoten sich allzu früh verabschieden. Und tatsächlich ist einer bereits raus: John Higgins, eigentlich als Anwärter auf Platz 1 der Weltrangliste und möglicher Gewinner des WM Titels gehandelt, verlor sein Erstrundenspiel gegen den großen Außenseiter Mark Selby. Da dürfte es auch nur ein kleiner Trost für die Snooker-Funktionäre sein, dass immerhin in Hongkong heute für gute Einschaltquoten gesorgt ist.