: Abgesaugt und angeschaut
MEDIENKUNST Auf den ersten Art Hack Days in Berlin wurde der Dialog zwischen Kunst und Technologie geführt. Fünfzig Künstler und Hacker machten Kunst, am Computer und mit dem Lötkolben in der Hand
VON FRAUKE VOGEL
Lange Tischplatten auf Holzböcke, rote Plastikstühle, Laptops und Steckdosen: Mehr Utensilien werden nicht gebraucht. Der Ausstellungsraum der Galerie LEAP in Berlin Mitte gleicht am Freitagnachmittag einer großen LAN-Party. Unter den Tischen sammelt sich der Kabelsalat, an die Wand ist mit einem Beamer ein Testbild projiziert, es riecht nach Kaffee. Ab und an geht jemand rum und sammelt den Müll ein. Es ist der erste Art Hack Day in Berlin, zu dem am Donnerstagabend rund fünfzig Künstler und Hacker aus der ganzen Welt gereist sind.
In nur 48 Stunden soll eine gemeinsame Ausstellung zum Thema „Going dark!“ entstehen. Wie die Künstler und Hacker das Thema umsetzen, ist ihnen überlassen. Zugrunde liegt der Zusammenkunft von Künstlern und Programmierern die Idee, Hacken als künstlerische Tätigkeit und Kunst am Computer und im Internet als Form des Hackens zu verstehen – bestehende Systeme zu unterbrechen und auf den Kopf zu stellen.
Die meisten Kunstwerke entstehen dabei am Computer. Es werden PC-Spiele gehackt und mit der realen Tageszeit synchronisiert, schwindelerregende Videoinstallationen abgespielt, bis einem schwarz vor Augen wird, oder dunkle Geheimnisse der Teilnehmer durch einen Roboter erzählt. Da stechen die beiden Medienkünstlerinnen Darsha Hewitt und Katrin Caspar mit ihrem Projekt heraus. Auf ihrem Tisch liegen Platinen, Schraubenzieher, Klebeband und viele unterschiedliche Batterien. „Uns geht es um das Spiel mit Licht und Dunkelheit“, erklärt die Kanadierin Hewitt.
Während Caspar die Batterien mit einem alten Lappen reinigt, klemmt Hewitt eine Handvoll kleiner Akkus zwischen eine Schraubzwinge. „Umso mehr alte Batterien man aneinanderschließt“, erzählt Caspar, „umso mehr Restenergie kann man aktivieren.“ Bei der Ausstellungseröffnung am Samstag wollen sie dann LEDs zum Leuchten bringen und Techno über kleine Lautsprecher abspielen.
„Es geht um den Dialog zwischen Kunst und Technologie“, erklärt der Initiator der Art Hack Days, Olof Mathé. Vor zwei Jahren hat der in San Francisco lebende Ingenieur das Projekt ins Leben gerufen. Seitdem fanden Art Hack Days in New York, Boston, San Francisco und Stockholm statt. In diesem Jahr ist nun Berlin an der Reihe. „Die Leute kommen hierher, um in kurzer Zeit gemeinsame Projekte zu verwirklichen. Ich bin immer wieder erstaunt, was für tolle Kunstwerke dabei entstehen“, sagt Mathé, der sich selbst zugleich als Hacker und Künstler versteht.
Die Art Hack Days in Berlin wurden gemeinsam mit der Galerie LEAP und der Transmediale veranstaltet. Den Ausstellungsraum des LEAP nennt Mathé einen „postkommerziellen“ Raum. Gegenüber vom Fernsehturm, zwischen einer Fast-Food-Kette und dem Brauhaus Mitte ist der Projektraum für elektronische und digitale Kunst seit März 2011 im fast leer stehenden Einkaufszentrum Berlin Carré untergebracht.
Durch die bodentiefen Fenster der Galerieräume scheint der Alexanderplatz am Samstagabend in bunten Farben. Während das Künstlerinnenduo Hewitt und Caspar auf der Dachterrasse des Gebäudes mit alten Batterien experimentieren, beginnt Mathé mit der Vorbereitung seiner eigenen Performance. Als Persiflage auf die Netzkommunikation will Mathé die Besucher der Ausstellung dazu auffordern, eines der Facebook-Profile von fünf der teilnehmenden Künstler für einen Tag zu ersteigern. „Bei diesem Projekt geht es um den Kauf einer fremden Identität“, sagt Mathé.
Der Besucher bekommt die Gelegenheit, einen Tag lang jemand anderes zu sein, persönliche Nachrichten zu lesen, Beiträge anderer zu kommentieren oder im Namen der Künstler neue Freundschaften zu schließen. Für Mathé geht es dabei um die Frage, wer heute eigentlich noch Kontrolle über seine Daten besitzt. „Die NSA-Affäre hat es gezeigt, die Daten haben eine Art Eigenleben. Sie werden abgesaugt, angeschaut und weiterverbreitet“, sagt er. Die Art Hack Days sind eine sogenannte flash exhibition, ein produktives, scheinbar spontanes Zusammentreffen mit einem gemeinsamen Ergebnis, das nur kurze Zeit zu sehen ist. Die Kunstwerke wurden am Sonntagvormittag schon wieder abgebaut. Im Januar wird es eine Fortsetzung der Art Hack Days im Rahmen des Transmediale Festivals geben.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen