Von polierten Aufsteigern und billigen Absteigen

US-INDIEFILM In den 80er Jahren positionierten sich fragile Filmformen gegenüber dem Gloss von Hollywood-Blockbustern. Die Reihe „Cinema of Outsiders“ präsentiert sie im Zeughauskino

Charles Burnett kriegt afroamerikanische Alltagsgeschichten ganz ohne Genre-Umweg in Miniaturen zu fassen

VON THOMAS GROH

Eine gängige Einschätzung des US-Kinos der 1980er Jahre lautet: Ende der 70er übernahmen Blockbuster und branchenfremde Businessmen der Konglomerate das Ruder, erst Ende der 80er dann taten sich mit dem Erfolg des Sundance Film Festivals ein Indie-Boom und damit verknüpfte, neue Hoffnungen auf. Die Phase dazwischen stellt aus cinephiler Perspektive – insbesondere nach dem New Hollywood der 70er – ein verlorenes Jahrzehnt dar. Die einst durch ein eindeutiges Produkt definierte Branche differenzierte sich über Homevideo und Merchandise wirtschaftlich aus und ging in den großen Medienkonzernen auf. Im Kino schwollen Muskelberge und Spezialeffekte beträchtlich an, die Alltagswelt kam ihm unterdessen abhanden.

Dass man sich dieser Zuspitzung keineswegs ohne weiteres anschließen muss, stellte kürzlich schon das Berliner Kuratorium The Canine Condition mit einer vielbeachteten, in Österreich sowie in Teilen auch in Berlin gezeigten Reihe „The Real 80s“ unter Beweis. Nahm diese noch tendenziell vom Zentrum des Mainstreams aus dessen Ränder in den Blick, um dort nach Bruchstellen und Widersprüchen Ausschau zu halten, nähert sich Hannes Brühwiler nun in seiner im Zeughauskino gezeigten Reihe „Cinema of Outsiders“ aus der anderen Richtung und sondiert das Feld weit jenseits von Studios und Merchandising.

Beide Reihen ergänzen einander komplementär, auch weil sie sich nur in einem einzigen, dafür besonders geeigneten Film kreuzen: Jonathan Demmes „Something Wild“ (1986), auf dem Papier eine Romantic Comedy, in der Melanie Griffith als verwegene junge Frau einen Yuppie (Jeff Daniels) um den Finger wickelt und dessen abgesicherte Welt ins Wanken bringt, legt räumlich wie sozial eine enorme Dynamik an den Tag. Metropole und Provinz bringt er so leicht zusammen wie die Welten von polierten Aufsteigern und billigen Absteigen. Im Gegensatz zur verengten Perspektive des Mainstreams der 80er auf die Welt öffnet „Something Wild“ gerade den Blick und belegt ganz ohne milieu-touristische Ambitionen die vielfältigen Lebensumstände in den USA. Wenn Demme die Kamera, nachdem seine Protagonisten das Bild verlassen haben, gelegentlich auf der schwarzen Bevölkerung ruhen lässt, die sich oft am Rande des Geschehens befindet, liegt darin gerade keine paternalisierende Geste. Vielmehr bietet der Film Anknüpfungspunkte, verweist auf Geschichten, die im Hollywoodsystem, dem auch dieser Film zumindest nahe steht, in der Regel unerzählt bleiben.

Fragmente davon sind in Charles Burnetts großartigem Debüt „Killer of Sheep“ (1977) zu finden, einem Schwarz-Weiß-Film über eine afroamerikanische Familie in ärmlichen Verhältnissen. Anders als die zeitgleich florierende Blaxploitation kriegt er afroamerikanische Alltagsgeschichten ganz ohne Genre-Umweg in kleinen, fragilen Miniaturen zu fassen, denen Burnett selbst da noch eine ganze eigene, sehr flüchtige Zärtlichkeit verleiht, wo sie Schroffes bis Gefährliches zeigen: An einer Stelle fliegt einem schon mal ein Motor entgegen.

Es sind flüchtige bis fragile, mitunter karge Filmformen, die sich hier gegenüber dem Gloss Hollywoods positionieren. Mit teils defizitären, nicht bis ins letzte exakt ausgeleuchteten Bildern und im Zweifelsfalls mit Direktton statt Dolby fangen sie jene Partikel konkreter Wirklichkeit ein, die den zugerichteten großen Filmen oft gründlich ausgetrieben werden. Bilder von den Pornokinos rund um den Times Square etwa oder vom Hafen New Yorks in Bette Gordons „Variety“ (1983). Oder das karge, kalte Seattle, das im Shoestring-Neo-Noir „Trouble in Mind“ (1985) als fiktive „Rain City“ figuriert. In diesem mit Filmgeschichte geradezu vollgesogenen Film zielt Regisseur Alan Rudoph, wenn man so will, auch direkt aufs neue Business in Hollywoods Zentrum: Den roh-urbanen Realismus der Kulisse kontrastieren bald immer comicartiger werdende Gangster, eine Gruppe mafiöser Geschäftsleute, die groß in postmodern überdrehte Kunst machen. Kris Kristofferson, Ikone New Hollywoods, hier in der Rolle eines gebrochenen Film-Noir-Antihelden, warnen sie schon frühzeitig: „Misch dich nicht in unsere Geschäfte ein!“

■ Cinema of Outsiders: Zeughauskino im DHM, Unter den Linden 2, bis 19. 10., Programm: www.dhm.de/kino