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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Wir sollten uns nicht überlegen fühlen“

Ein Programm mit maritimen Schlagern brachte ihr einen Preis ein. Aber wie hält Sabrina Ascacibar selbst es mit dem Meer?VERKEHRSWEG ODER SEHNSUCHTSORT Wer Sabrina Ascacibar besuchen will, kommt am besten übers Wasser: In Hamburg-Blankenese wohnt die Sängerin und Schauspielerin direkt am Fähranleger, mit himmlischem Blick. Auch künstlerisch dreht sich bei ihr vieles um die Seefahrt

INTERVIEW JOHANN TISCHEWSKI

taz: Frau Ascacibar, erinnern Sie sich noch daran, wie Sie das erste Mal das Meer gesehen haben?

Sabrina Ascacibar: Das war in Dakar. Ich muss noch sehr jung gewesen sein. Ich bin in Senegal geboren. Wir haben nicht weit vom Strand entfernt gewohnt. Ich hatte damals einen Papagei und ein Kaninchen und alles hat nach Mango gerochen. Noch heute liebe ich es, Mangos zu essen. Und das Meer: es ist dort nicht wie hier oder irgendwo anders. In Dakar glitzerte das Meer. Es war das Paradies.

Das Meer ist für Sie immer ein Thema geblieben. Zuletzt traten Sie mit einem Programm auf, in dem Sie altes maritimes Liedgut neu interpretierten. Wie bringen Sie diese eingestaubten Kamellen wieder auf die Höhe der Zeit?

Vielleicht schaffen wir es durch eine ungewöhnliche Instrumentierung. Maik Schott begleitet mich an einem Keyboard und Sönke Rust an diversen Gitarren, Banjo und einer Mandoline. Und wahrscheinlich trägt auch meine Art zu phrasieren dazu bei, mit Traditionen zu brechen. Ich bin musikalisch vom Tango, von der brasilianischen Musik und vom Jazz beeinflusst – so was fließt dann auch in den einen oder anderen deutschen Schlager. Und bei dem einen oder anderen Schlager klingt vielleicht eine zarte, aber liebevoll gemeinte, Ironie mit.

Die Seefahrt ist heute industrialisiert, die Tiefen der Meere sind weitgehend erforscht, die Ozeane verkommen zu einer riesigen Müllhalde. Ist das Meer überhaupt noch irgendwo jener romantische Ort, wie Sie ihn besingen?

Wissen Sie, ich sitze hier jeden Tag an meinem Schreibtisch und sehe vorm Fenster die Containerschiffe vorbeifahren, die von hier aus in die ganze Welt aufbrechen. Irgendwann habe ich angefangen, eine Liste der Namen anzulegen, die sie auf ihren Rümpfen tragen. Wenn mir ein Name auffällt, notiere ich ihn hier auf diesen Zettel. Wollen Sie mal ein paar davon hören?

Ja, warum nicht.

„NYK Terra“, „Bella Via“, „Betty Knudsen“, „Ice Bird“, „Pacific Spirit“, „Mermaid“, „HS Beethoven“, „Paradise“, „Saigon Express“, „Venus“, „Uranus“, „Sirius“, „El Toro“, „CSCL America“, „Ever Strong“, „Acongagua Bay“, „Star Curacao“, „Grande Brasil“ … mehr?

Klar.

„Iris Bolten“, „MSC Laura“, „Accurat“, „Rio Bravo“, „MSC Susanna“, „Acongagua Bay“, „Tosca“, „Utopia“, „Perseus“, „Beluga Flirtation“, „Rio Bravo“. Die Menschen werden mit dem Meer immer etwas Romantisches verbinden. Es ist einfach so symbolisch.

Was symbolisiert es denn?

Ich habe mal in Brasilien einen alten Mann getroffen, der sein ganzes Leben am Meer gelebt hat. „Das Meer, das Meer, was wollt ihr bloß alle mit diesem Meer“, pflegte er immer zu sagen, „das ist doch nur ein Haufen Wasser.“ Zunächst einmal ist das Meer auch für mich ein tiefer Graben, eine unüberwindbare Grenze, ein riesiges Loch aufgefüllt mit Wasser, das die Kontinente von einander trennt …

aber?

Aber dann ist es eben auch diese gewaltige lebendige Masse. Mich interessieren die Geschichten der Menschen, die mit diesem riesigen Wasser zu tun haben oder hatten. Das Meer ist eine Projektionsfläche für all unsere Sehnsüchte, unsere Mythen. In Uruguay betet man Yemayá an: Schutzpatronin der Seefahrer, Hüterin des Heims und Mutter der gesamten Menschheit, des Lebens – vor allem aber ist sie Göttin des Meeres. Die Leute in Südamerika fahren regelmäßig mit kleinen Boten raus und legen ihr Geschenke in die Wellen: Blumen, Düfte und kleine Gaben. Sie ist übrigens – wie sollte es anders sein – eine Auswanderin. Die Sklaven haben sie auf den Schiffen der Portugiesen mit nach Südamerika gebracht. Später wurde sie mit der katholischen Heiligen Virgen de Regla synkretisiert.

Sie sind ebenfalls von Afrika nach Südamerika emigriert. Im Alter von vier Jahren zogen Sie mit Ihren Eltern von Dakar nach Buenos Aires.

Es war ein ziemlicher Bruch. Ich kam aus dem Paradies und musste ans Ende der Welt. Man fliegt über dieses endlose Blau und denkt, da kann doch jetzt nichts mehr kommen. Aber irgendwann tauchen dann doch plötzlich Gebäude aus dem Nichts auf. Von weitem sieht Buenos Aires wie eine schöne, verschlafene Stadt aus. Nur wenn Du erst einmal drin bist, ist überall dieser Wirbel, überall dieses lebendige Treiben, nichts steht still. Es ist ein „melting pot“: Es gibt dort Leute mit polnischen, mit jüdischen, mit französischen und mit libanesischen Nachnamen. Das hat mich sehr geprägt.

Sagt man in Argentinien eigentlich „la mar“, weiblich, oder „el mar“, männlich?

Man kann beides sagen.

Und was sagen Sie?

„La mar“ ist literarischer. Obwohl es ein bisschen altmodisch ist, würde ich sagen, dass ich es bevorzuge. Aber manchmal passt es einfach nicht, dann sage ich auch „el mar“.

Ist das Meer selbst für Sie dann auch eher weiblich konnotiert?

Ja, auf jeden Fall. Es ist geheimnisvoll, es hat etwas Bewahrendes aber auch etwas Unberechenbares, es lockt und erweckt Neugierde. So ist es auch kein Wunder, dass es seit Odysseus immer Männer waren, die in See stachen. Dieses Motiv habe ich auch auf der Bühne immer wieder aufgegriffen: der Seemann – das männliche Prinzip –, der das Abenteuer sucht, die Geliebte am Hafen, die Wartende, und dann die andere Geliebte, die es für ihn immer wieder zu erobern gilt: das Meer.

Aber dieses Schema reduziert die Frau doch auf eine sehr passive Rolle. Wäre es nicht zeitgemäß, damit zu brechen?

Es ist ja kein Klischee. Sondern es ist faktisch einfach so, dass auf den meisten Schiffen nur Männer mitfuhren und auch heute noch mitfahren. Die Frauen müssen meist auf die Kinder aufpassen. Im Übrigen war der Seemannsberuf vor der industriellen Schifffahrt alles andere als ein Zuckerschlecken. Wenn man mit einem Schiff auslief, wusste man nie, ob man auch wieder zurückkommen würde.

Joseph Conrad beschreibt in seinem Roman „Herz der Finsternis“ die Seefahrer als eher häusliche Gemüter, die nur wenig Lust an Abenteuern haben – und zudem noch leicht beschränkt sind.

Das mag für einen großen Teil zutreffen. Auf einem Schiff ist nur wenig Platz. Die Tagesabläufe sind immer gleich und es herrscht meist sehr rigide Ordnung. Vielleicht wird man da auf die Dauer etwas spießig. Aber man kann das sicher nicht verallgemeinern. Lesen Sie doch einfach mal einen Bericht einer der großen Entdeckungsreisen.

Was war für Sie persönlich die intensivste Erfahrung mit dem Meer?

Nachdem ich in Argentinien meine Schule beendet hatte, ging ich mit einem kurzen Zwischenstopp in Deutschland nach New York, um dort Schauspiel zu studieren. Irgendwann lag ich in Bahia am Meer. Ich hatte LSD genommen, das einzige Mal in meinem Leben – aber es half mir zu einer der schönsten Erfahrungen: Das Meer erschien mir plötzlich als ein Wesen mit einer Seele. Ich war eins mit dem Wasser, den Wellen. Die Zeit blieb stehen. Es war wie ein „ewiger Moment“, in dem ich kein Mensch war, sondern das Meer und mit allem in Verbindung stand.

Soll ich das mit dem LSD wirklich schreiben?

Wieso sollte ich das verheimlichen? Das war damals eine prägende Erfahrung für mich. Mein Sohn wird das schon verstehen, wenn er das vielleicht irgendwann einmal liest.

Glauben Sie immer noch, dass das Meer eine Seele hat?

In gewisser Weise: Ja. Ich glaube, dass da immer noch sehr viel ist, was wir nicht wissen über das Meer. Wir denken immer sehr rational. Dabei vernachlässigen wir manchmal das Ganzheitliche. Wir sollten uns dem Meer nicht zu überlegen fühlen, ihm mehr Respekt, mehr Demut entgegen bringen. Wir sperren es hinter Deiche, wir untersuchen es aus dem Weltall, wir heizen es auf – aber wir werden es niemals ganz kontrollieren können.

Sie zählen Seeleute zu Ihren Vorfahren, haben selbst die halbe Welt bereist. Ist Hamburg zu Ihrem Heimathafen geworden?

Um es mit Siegfried Lenz zu sagen: Kein Anker hält für immer.