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Archiv-Artikel

Auf verlorenem Posten

Früher war Anne Lütkes mal Justizministerin von Schleswig-Holstein. Und Stellvertreterin von Ministerpräsidentin Heide Simonis. Jetzt kämpft sie um den Posten einer Landrätin im Kreis Schleswig-Flensburg. Dass sie die Wahl gewinnt, glaubt keiner

von Esther Geißlinger

Ein Bus parkt auf dem Capitolplatz im Zentrum der Schleswiger Fußgängerzone, davor Plakate, ein Tisch mit Flugblättern, die Menschen dahinter im Gespräch mit Passanten: So sieht er aus, der Auftakt zum Straßenwahlkampf an diesem kühlen Morgen im April. Nur, dass da gar nicht wahlgekämpft wird: Die engagierte Truppe wirbt für ein Reiseunternehmen, während die Wahlkämpferin Anne Lütkes abseits steht und nach ihrem eigenen Werbebus Ausschau hält, der sich irgendwo verfahren hat.

Lütkes, 57, früher Justizministerin von Schleswig-Holstein und stellvertretende Ministerpräsidentin, heute Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Kieler Landtag, führt den wahrscheinlich absurdesten Wahlkampf ihres Lebens. Sie tritt an, um am 7. Mai Landrätin des Kreises Schleswig-Flensburg zu werden. Wären die Grünen gemeinsam mit der SPD an der Macht geblieben und hätten wie geplant die Zahl der Kreise reduziert, gäbe es heute dieses Amt vielleicht schon nicht mehr.

Will Anne Lütkes gewinnen bei dieser Wahl? „Ganz ernsthaft, ich kann es mir vorstellen. Je länger ich hier rumlaufe, desto spannender finde ich es“, sagt sie. Muss sie natürlich – niemand würde eine Kandidatin wählen, die von vornherein sagt, es sei nur ein Gag.

Das ist es auch nicht. Kein Witz, aber ein Statement: „Ein demokratisches Signal.“ Denn das Ergebnis der Landratswahl im Kreis Schleswig-Flensburg steht eigentlich schon fest: Ein Mann mit dem schönen Namen Bogislav-Tessen von Gerlach wird gewinnen. Er ist Leitender Kreisverwaltungsdirektor und wird von CDU und SPD gemeinsam unterstützt. Zwei weitere Kandidaten treten ohne Partei im Rücken an. „Wir waren erstaunt, dass keine Partei eine Gegenoffensive gestartet hat“, sagt Lütkes. „Wir haben große Koalitionen in Berlin und Kiel, und hier bildet sich ohne Not eine weitere.“ Also beschlossen die Grünen, eine eigene Kandidatin aufzustellen, Slogan: „Du hast doch eine Wahl.“ Allerdings eine, die niemanden so recht interessiert: Landräte werden zwar seit einigen Jahren direkt vom Volk bestimmt, aber die Beteiligung ist fast immer niedrig. Die wenigsten Bürger wissen, wozu so ein Landrat eigentlich gut ist.

So stehen die Kandidatin und ihr kleiner Trupp von Helfern in der Fußgängerzone auf verlorenem Posten, vor allem, weil das Reiseunternehmen gegenüber nicht nur den größeren Bus, sondern offenbar auch die spannenderen Flugblätter hat. Landratswahl? Die Grünen? „Was ich euch schon lange mal sagen wollte, das mit dem Westerwelle, dass der gegen Schröder geklagt hat.“, beginnt eine Frau und will partout nicht glauben, dass Westerwelle und Grüne gar nicht so viel miteinander zu tun haben. Eine andere Frau erklärt ihre Meinung über „die Ausländer“, ein Mann weiß, dass die Grünen sich jetzt überhaupt erst wieder finden müssen.

Lütkes macht es sich nicht leicht. Ihr Kalender für die nächsten Wochen ist voller Wahlkampftermine. Es wird Infostände geben, Diskussionen, eine Radtour. Ziemlich viel Aufwand für einen Witz. Lütkes erzählt, was sie im Kreis tun würde, sollte sie wider Erwarten gewinnen. Sie hat ein Programm, natürlich hat sie das. Und sie würde sich vielleicht einen Hund kaufen, wenn sie Landrätin wäre.

Für die Grünen in der Region bedeutet die Kieler Kandidatin ein bisschen Werbung – eine Vorbereitung auf die nächste Kommunalwahl vielleicht. Da wollen sie in den Kreistag, sagt Jens Dücker, Vorsitzender des Kreisverbandes. 56 Mitglieder zählen die Grünen im Kreis. In der Stadt Schleswig kamen sie zuletzt über die Fünf-Prozent-Hürde. „Für die Landratswahl rechne ich mit nicht mehr als 30 Prozent“, sagt Jens Dücker. Und fügt schnell hinzu: „Wahlbeteiligung. Für die Grünen rechne ich mit einer Überraschung.“

Soll man Anne Lütkes wünschen, dass sie diese Überraschung schafft? Schwer zu sagen. Rechnen tut damit jedenfalls keiner.