: Lebensform unter Wettbewerbsdruck
BILDUNG Keine Frage erzeugte auf dem taz-Kongress solche Zersetzungskraft wie die nach der Konkurrenz unter den Unis
HORST HIPPLER, KIT-PRÄSIDENT
VON ULRIKE WINKELMANN
Eine machte keinen Hehl daraus, dass sie zu den Profiteurinnen der Reformen gehört.
Die Hamburger Soziologin Anita Engels erklärte rundheraus, die Arbeit ihres Klimaforschungsverbunds wäre ohne die Exzellenzinitiative unmöglich. Doch nicht nur das. Dank der 2006 gesetzten Finanzspritzen für prämierte Unis „ist Wissenschaft etwas Tolles geworden, sie ist weithin sichtbar geworden“, erklärte Engels dem leicht verblüfften Publikum des tazlab-Bildungskongresses am Wochenende in Berlin.
Und übrigens, sagte Engels: Erst dank der Exzellenzinitiative würden die Studienfächer daraufhin durchleuchtet, ob und wie „massenweise Frauen aus ihren Karrieren hinauskatapultiert werden“.
Viel Ehre für den Exzellenzwettbewerb, der 2012 in die nächste Runde geht. Die 2,7 Milliarden Euro, die dann fließen sollen, hätte jeder der Unipräsidenten und Wissenschaftlerinnen gern, die zum taz-Kongress ins Haus der Kulturen der Welt gekommen waren. Auch Richard Münch, Soziologe aus Bamberg, der die Exzellenzinitiative dennoch vehement angriff.
„Sie hat den Erkenntnisfortschritt nicht gefördert“, erklärte Münch. Denn die Konkurrenz ums Geld gehorche einer „reinen Verdrängungslogik“: Die Mittel insgesamt wüchsen ja nicht. Ein Wettbewerb nach diesem Modell führe „lediglich zur Neuverteilung des forschenden Personals“ nach dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“. Es entstünden „keine neuen Forscher“.
„Welche Universitäten wollen wir?“ war der Titel des Kongresses anlässlich des 31. Geburtstages der tageszeitung, zu dem mehrere hundert Uni-Angehörige und -Leidende erschienen. Keine Frage entfaltete dabei auf verschiedenen Podien so viel Zersetzungskraft wie die nach dem Wettbewerb und dem Leistungsdruck, den die Hochschulreformen der vergangenen zehn Jahre an den Unis geschaffen haben.
Um das Ausmaß der Zumutungen, Verheerungen und Chancen zu beschreiben, schien Joseph Schumpeters bald zitierter Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ durch den Kapitalismus kaum auszureichen. Wobei der vielleicht größte Profiteur, der Präsident der neuen Riesenhochschule Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Horst Hippler, ein wichtiges Detail einstreute: Wettbewerb um Drittmittel „hat es schon immer gegeben“, sagte Hippler. „Neu ist, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften auch drin sind.“
Einer, der sich vom Drittmittel-Darwinismus der Großuniversitäten nicht einschüchtern lassen wollte, war der Präsident der Lüneburger „Leuphana“-Universität, Sascha Spoun. Er hob stark darauf ab, dass ein Studium eben nicht irgendein Konsumgut und auch kein Job sei, sondern eine Lebensform. Sie beruhe auf einer besonderen Motivation, nicht auf Credit Points.
Doch verklärte Spoun keinesfalls die jüngere Hochschulvergangenheit. Das verwaltete Elend an den Universitäten der 1990er-Jahre, sagte Spoun, habe die „Erfahrungsphase Uni“ erst so entwertet, dass es der Politik gelingen konnte, den Hochschulen rein formale und ökonomische Ziele aufzudrücken.
Die Umsetzung der gar nicht akademisch gedachten Reformen aber werde ja noch nicht einmal methodisch überprüft, schnaubte der frisch gewählte Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, Jan-Hendrik Olbertz. Wissenschaftliche Selbstreflexion, sagte Olbertz, „ist keine deutsche Stärke“. Schon deshalb sei „das Wort ‚Exzellenz‘ fast nicht mehr zu verwenden. Denn es ist nicht steigerungsfähig“, sei aber angesichts der Realität steigerungsbedürftig.
Was kein Unipräsident so offen aussprechen kann, blieb später einem Studierenden zu kritisieren überlassen. Im offenen Plausch mit Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) rief der junge Mann: Es sei doch mit Blick auf die USA klar, dass es neben einigen wundervollen Eliteuniversitäten bald viele kleine, miese City-Colleges geben werde, „in denen in Containern gelehrt wird“, und so ein neues Klassensystem entstehe.
Schavan zeigte sich insgesamt wenig beeindruckt von den Sorgen der Studierenden. Diese bekamen von ihr keinen Jugendbonus – und erfuhren so, wie die stets geforderte „Kommunikation auf Augenhöhe“ aussieht. Auf die Frage eines Nachwuchswissenschaftlers nach Teilzeitarbeit und Integration von Familie und Beruf beharrte die Ministerin auf dem Leistungsprinzip – pur. „Eine Ochsentour gibt es woanders auch“, sagte sie und lächelte – wohl eingedenk ihres eigenen Aufstiegs – süßsauer. „Man muss das schon wollen. Man muss schon brennen.“