portrait : Der singende patriotische Solitär
Ein bisschen graust es einem schon, wenn man die Meldungen über das nächste Neil- Young-Album liest, die am Wochenende durchsickerten. Nicht weil es sich um ein Protest-Album gegen die US-Regierung handeln und „Living With War“ heißen soll, davon dürfte es kaum genug geben. Es sind die näheren ästhetischen Umstände, die Zweifel wecken, ob diese Platte wirklich nötig ist.
Young, der im vorigen Herbst 60 Jahre alt wurde, soll mit einem hundertköpfigen Chor, einem Rocktrio und einer Trompete „Impeach The President, he’s lying“ singen, und es sollen sich Rap-Einlagen gegen George W. Bush auf der Platte finden, zu denen der Chor im Hintergrund „Flip-Flop“ murmelt – die Beleidigung, mit der die Republikaner im Präsidentschaftswahlkampf John Kerry als Opportunisten verunglimpft hatten. Die Aufnahmesession sei ein spirituelles Erlebnis gewesen, schrieb eine der Sängerinnen in ihrem Blog, von wo aus die Nachricht ihren Weg zu den Agenturen fand, am Ende sei kein Auge trocken geblieben. Das ganz große Pathos also: Die Nation scheint ihn wieder einmal gerufen zu haben, und wer wäre Young, dem Ruf keine Folge zu leisten?
Nun ist das Schöne an Young, dass er tatsächlich vollkommen unkorrumpierbar und für niemanden zu vereinnahmen ist. Kaum ein Künstler hat schon so häufig seine Karriere mit miserablen Platten aufs Spiel gesetzt, um dann aus den Trümmern ebenjener Aufnahmen wunderbare neue Musik zusammenzukratzen. Youngs Drehungen und Wendungen als politischer Künstler folgen ähnlich erratischen Mustern. Er ist ein patriotischer Solitär, der seine Meinungen nicht entlang klassischer Rechts-links-Schemata bildet. Mit seinen Kumpels Crosby, Stills und Nash spielte er 1971 „Ohio“ ein, ein wütendes Stück gegen die Erschießung von vier protestierenden Studenten an der Kent State University. Was ihn nicht daran hinderte, in den frühen Achtzigern mit Ronald Reagan zu sympathisieren.
Und dass er nun George W. Bush aus dem Amt jagen möchte, beißt sich auf das schärfste mit der Unterstützung, die Young ihm nach den Anschlägen vom 11. September angedeihen ließ. Damals schrieb er mit dem Song „Let’s Roll“ nicht nur eine Hommage an die amerikanischen Fluggäste, die das vierte Attentäterflugzeug zum Absturz brachten. Vor allem unterstützte er die Verabschiedung des Patriot Act, eines Gesetzespaket, das einige Bürgerrechte außer Kraft setzte.
Im Juni soll „Living With War“ erscheinen. Man wird sehen, wie lange der Honeymoon zwischen der Antikriegsbewegung und dem – neben Dylan – letzten Ausläufer der gegenkulturellen Sechziger währen wird. TOBIAS RAPP