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Archiv-Artikel

„Man muss ganz viel am Tisch arbeiten“

REGIONALE KÜCHE Das Hotel „Altes Land“ setzt auf vergessene Gemüsesorten und Tierrassen. Diese fordern Fantasie bei der Verarbeitung – und sind bisweilen erklärungsbedürftig

Von KNÖ
Wilhlem Wehrt

■ 57, leitet seit 1984 das Hotel-Restaurant „Altes Land“ in Jork bei Buxtehude. Seit zehn Jahren verarbeitet er vor allem regionale und saisonale Produkte. Die Gaststätte wird von der Genießer-Vereinigung Slowfood empfohlen.

taz: Herr Wehrt, warum verarbeiten Sie in Ihrem Restaurant vergessene Gemüse?

Wilhelm Wehrt: Ich komme aus der Landwirtschaft. Wir hatten immer eine Gaststätte mit einem Bauernhof. Im Laufe der Zeit habe ich festgestellt, dass auf dem Weg zur guten Küche viele Produkte verlorengehen, die Regionalität einmal ausgemacht haben.

Sind einige Gemüse nicht zu Recht vergessen?

Das kann man schon sagen. Man muss aber die Gründe recherchieren. Die liegen meist in der Wirtschaftlichkeit, der Haltbarkeit oder auch in der Ästhetik.

Würden Sie ein Beispiel nennen?

Es gibt eine Kirsche namens „Spitze“ hier in der Region. Jeder Landwirt weiß, dass diese Kirsche wunderbar schmeckt, vor allem in Kirschpfannkuchen. Aber sie erreicht nicht die nötige Größe. Wenn ich zu den Bauern komme und danach frage, heißt es: Du hast ja Recht, aber so was können wir auf dem Markt nicht mehr verkaufen. Und der Pflücker macht nicht genug Ertrag. Ein anderes Beispiel ist das Bamberger Hörnchen. Die Kartoffel lässt sich nicht schälen, weil sie U-förmig ist, und sie lässt sich vom Kartoffelroder nicht aufnehmen, weil sie zu klein ist. Viele Apfelsorten haben zwar einen tollen Geschmack, wie der Seestermüher Zitronenapfel, aber nicht mehr die Färbung, die der Kunde sucht: die rote Backe. Die großen Einkaufsgesellschaften versuchen, den Verbraucher so zu erziehen, dass er nur noch das gut findet, was in ihr Konzept passt.

Wie viel Überzeugungsarbeit müssen Sie bei Ihren Gästen leisten?

Bio und Regionalität gehörten zusammen. Regionalität wird immer wichtiger. Viele regionale Produkte werden nicht unbedingt bio angeboten. Es gibt Produkte, die sich allmählich beim Gast wieder verankern. Die Pastinake zum Beispiel bekommt man langsam wieder auf den Märkten. Dazu muss man nicht mehr viel erzählen. Auch der Bekanntheitsgrad des Bentheimer Schweins steigt. Bei anderen Produkten muss man ganz viel am Tisch arbeiten und viel dazu erzählen. Andererseits kommen viele Kunden bewusst zu uns, weil sie wissen: Da gibt es so was.

Gibt es noch die Rezepte zu den alten Sorten?

Nicht jedes Produkt ist rezeptgebunden. Sie können diese Produkte im Regelfall nur neuzeitlich darstellen. Regionale Küche ist nicht nur bodenständig und schwere Kost, sondern ständig im Wandel. Sie muss sich dem Verbraucherverhalten anpassen. Bei uns gibt es einen Latte macchiato von der Vierländer Platte. Das ist eine alte Tomatensorte, aus der wir ein Farbspiel mit Basilikumschaum obendrauf machen.

Ist schon mal ein Gemüse gefloppt bei Ihnen?

Der Knollen-Ziest, der aussieht wie ein Engerling. Er ist ganz klein, schmeckt nussig und wird oft im Salat verwendet. Viele Gäste haben das Gefühl, es würde eine Raupe im Salat laufen. Es kommt darauf an, so etwas so zuzubereiten, dass es der heutige Kunde annimmt. Nehmen Sie zum Beispiel einen Blauen Schweden: eine tief pelikanfarbene blaue Kartoffel. Wenn Sie die aufschneiden und schälen, sagen sie: Boa, was für eine Farbe. Wenn Sie die aber kochen, wird die blauweiß und sieht mehlig aus. Dann ist der ästhetische Eindruck weg. Wir mussten lange experimentieren, bis wir diese Kartoffel so auf den Teller bringen konnten, dass sie ein Augenschmaus ist.

Was ist Ihr Lieblingsgemüse?

Gelbe Bete, weiße Bete: Deren Farbspiel finde ich klasse. Duwicker Möhren, Bardowicker Möhren: Ich mag die Geschmacksvielfalt der Möhren.

Sind Sie in letzter Zeit auf Gemüse gestoßen, die Sie nicht kannten?

Dafür haben wir Partner, die in Samenbänken arbeiten. Es wäre vermessen, das zu behaupten.

Bis vor zehn Jahren kannte ich die Pastinake nicht …

Ich beschäftige mich schon lange mit diesem Thema. Wir hatten uns gefragt, wie wir unserem Restaurant ein neues Gesicht geben können. Wir wussten, wenn wir vom Horneburger Pfannkuchen einen Apfelkuchen machen, schmeckt der ganz besonders. So kamen wir auf die Idee: Wenn es so was bei Obst gibt, gibt es so was auch bei Kartoffeln und beim Fleisch. Wir haben Mitarbeiter auf die Suche geschickt. Die haben sich erkundigt, wo es noch die alten Sorten und Rassen gibt und Partner gesucht wie das Freilichtmuseum am Kiekeberg oder die Arche Warder. INTERVIEW: KNÖ