Das Vier-Minuten-High

Bas Böttcher, Berliner Poetry-Urgestein und Spoken-Word-Mythos, hat genug vom Slammen. Lieber veröffentlicht er jetzt einen Schmuckband mit Lyrik und mischt sich unter die „legendären Dichter“

VON LEA STREISAND

Bas Böttcher möchte nicht Slam-Poet genannt werden. Slammer, das seien doch im öffentlichen Bewusstsein eine einzige graue Masse, die sich auf Bühnen durch Schlüpfrigkeiten profiliere. Das Wort „Slammer“ wecke Assoziationen mit Fliegen: Die träten in Schwärmen auf und summten alle gleich. „Schreib einfach ‚Lyriker‘ “, schlägt er vor, stellt mit seinen großen, schlanken Händen die Worte selbstsicher in den Raum und nippt an seinem Milchkaffee.

Der Lyriker muss sich aber die Bezeichnung „Urgestein der Poetry-Slam-Szene“ gefallen lassen. 1997 gewann er die ersten deutschen Slam-Meisterschaften in der Disziplin Wortakrobatik. Da war er gerade 23 Jahre alt. Ein Jahr zuvor hatte er mit seiner Band Zentrifugal die erste Platte veröffentlicht. „Poesiealbum“ hieß die sensationelle Verknüpfung von Rap und Lyrik, mit der Böttcher fast ein Superstar wurde. Als Slam- und Rap-Poet reiste er von Weimar nach New York, von Mexiko nach Paris. Er war Stipendiat des Literarischen Colloquiums Berlin und Gast bei Harald Schmidt.

Der Bruch kam im Jahr 2000. „Um Zentrifugal war ein riesiger Kreis von Leuten entstanden, die Geld verdienen wollten“, sagt Böttcher. „Wir waren kurz davor, verheizt zu werden.“ Mehr sagt er nicht. Heute macht Bas Böttcher eben lieber Poesie als Rap. „Man hat mehr Kontrolle über die eigenen Arbeiten“, sagt er und lächelt unwiderstehlich. Außerdem könne man sich aus dem Korsett des Viervierteltaktes befreien. „Aber“, betont er, „ich bin kein Freund der freien Form.“ Schon wieder eine Alliteration, die dieser Profi sanft aus dem Handgelenk schüttelt.

2004 erschien sein Romandebüt „Megaherz“, 2005 veröffentlichte er zusammen mit „Bastard Slam“-Erfinder Wolf Hogekamp die DVD „Poetry Clips (Vol. 1)“, auf der erfahrene Spoken-Word-Performer ihre Texte in Videoclip-Manier vortragen. Poetry Slam als Homevideo – „ein neues Literatur-Format“, heißt es auf dem Cover. Auch Böttcher ist hier auf Disk gebrannt, vor der illuminierten Fassade des Hauses des Lehrers am Alexanderplatz deklamiert er einen seiner Texte. Die technische Qualität der Aufnahmen lässt an vielen Stellen zu wünschen übrig, man denkt, Rohmaterial vor sich zu haben. „Ein Vehikel für Bühnentext braucht keine schnellen Schnitte“, verteidigt Böttcher die wackligen Bilder, die nur eins ganz deutlich zeigen: wie seine Hände durch die Luft fliegen, die Reime in Stücke hacken und sie wieder zusammenschieben.

Wie Sprechen ist auch Schreiben für Bas Böttcher eine körperliche Tätigkeit. „Der Rhythmus der Sprache folgt dem Herzschlag, nicht nur bei Gedichten.“ Dabei schaut er seinem Gegenüber fest in die Augen: die Selbstsicherheit der Rampensau, gepaart mit dem Charme des Publikumslieblings und der Sensibilität des Dichters. Muss man nett sein, um Poetry Slams zu gewinnen? „Man muss die Dinge in höchstens vier Minuten auf den Punkt bringen.“ Böttcher benutzt keine nebulösen Bilder in seinen Texten, Metaphern sind ihm zu unkonkret.

Gerade hat er seinen Lyrikband „Dies ist kein Konzert!“ veröffentlicht. In 20 Texten geht es um das mal harte, mal süße Überleben als Dichter, um Urlaub in der Guantánamo-Karibik oder die Absonderlichkeiten der Partyschickeria. In „Teleliebe“ besingt Böttcher die heimelige Erotik von Chatrooms: „Ich komm im Elektronenfluss mit Hyperpulsfrequenz / unbegrenzt und ungebremst in deine Hörmuschel zum Telekuscheln.“ Was er will, ist: den Worten an die Wurzel. Seine Rap-Ursprünge sind den Texten immer noch anzumerken: Sprechtexte als Wortspiele, die erst gesprochen ihren ganzen Witz entfalten.

Kann man solche Texte einfach in ein Buch schreiben? Böttcher lacht. Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und legt die Hände so bestimmt auf die Tischkante, als würde er ein Wäschestück zusammenfalten. Er habe die Texte so ausgesucht, dass sie „on stage“ und „on page“ funktionierten. Genauso durchsetzt mit Anglizismen sind auch seine Gedichte – erstaunlicherweise stolpert man beim Lesen da stärker drüber als beim Hören. Nicht umsonst hat sich Böttchers Verlag Voland&Quist auf Spoken Word spezialisiert – und legt jeder papiernen Veröffentlichung eine CD bei. So eröffnet sich beim Mithören und Mitlesen eine Dimension der Texte, die bislang nur von der Bühne aus transportierbar war: eine unendliche Leidenschaft für Konsonanten, Alliterationen und Endungen, andauernde Mehrdeutigkeiten, über die sich zu freuen ein Leichtes ist.

Der Titel des in silbernes Leinen gebundenen Schmuckbandes entstand aus einer Notwendigkeit heraus: „Die Veranstalter kündigten mich immer als Rapper an, und die Leute dachten, sie gingen zu einem Konzert.“ Um Enttäuschungen vorzubeugen, gab er seinem Programm den programmatischen Titel. Und übernahm ihn gleich für das Buch.

Auf Poetry Slams tritt Böttcher heute nicht mehr auf. Die „Wanderjahre des Poeten“, wie er die Phase des Stagehoppings von Poetry Slam zu Poetry Slam nennt, sind vorbei. Bas Böttcher weiß jetzt, was er will. Jedes Jahr eine Veröffentlichung. Und davon leben. „Es gibt Sushiphasen und es gibt Milchreisphasen“, sagt er und bestellt noch einen Kaffee. Heute Abend gibt es bei ihm gerollten Reis mit Fisch in der Mitte.

Obwohl es ihm gut geht im Moment: Bas Böttcher ist weiterhin bühnenpräsent. Entweder ist er mit dem Gedichtband auf Lesereise, oder er bespielt mit seiner neuen Lesebühne „Berliner Wald“ den Festsaal Kreuzberg. Sie wollten alles anders machen als die restlichen Lesebühnen der Stadt, sagt Böttcher und lacht. Jeden dritten Donnerstag im Monat lesen, singen, rappen und dichten die Berliner Pflanzen – ob in der Stadt verwurzelt oder hierher umgetopft – mit Unterstützung eines Special Guest. Das bewährte Konzept.

Zum Schluss holt Böttcher noch eine CD hervor. Der Holztisch des Cafés ist bereits übersät mit Büchern, Platten, Flyern und Notizzetteln. Die Kaffeetassen und Gläser stehen irgendwo dazwischen. Der letzte Tonträger sieht aus wie ein Buch. „Anna Blume trifft Zuckmayer“, steht auf dem aufwändig gearbeiteten Cover, darunter: „60 legendäre Dichter in Originalaufnahmen 1901–2004“. Thomas Mann ist zu hören und Joachim Ringelnatz, Durs Grünbein und – Bas Böttcher. Er lächelt stolz, der Dichter.

Lesebühne Berliner Wald: heute Abend, 20.30 Uhr, im Festsaal Kreuzberg morgen: Bas Böttcher liest bei „Verbal Accessoires“ in der Trompete, Lützowplatz 9 27. 4., 20 Uhr, Maschinenhaus/Kulturbrauerei: Bas Böttcher liest beim polnischen Kulturfestival „Terra Polska“