: Der ewige Klassenbeste gegen den Pausenclown
ITALIEN Nach Berlusconi ist Regierungschef Enrico Letta der starke Mann im Amt. Jetzt muss er sich nur noch vor Parteikollege Matteo Renzi fürchten
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Silvio Berlusconis Niedergang scheint unaufhaltsam. Gescheitert mit dem Versuch, die Regierung unter Ministerpräsident Letta zu stürzen, darf der alte Mann sich jetzt ganz auf seine Justizprobleme konzentrieren – auf den bevorstehenden Mandatsentzug, auf den Antritt seiner Strafe, entweder ein Jahr im Hausarrest oder aber Sozialstunden. Und endlich scheint die gemäßigt linke Partei „Partito Democratico“ (PD) das bessere Blatt in der Hand zu haben – vor allem weil sich gleich zwei Joker in ihm finden. Zwei, die beste Chancen haben die Berlusconi-Rechte bei den nächsten Wahlen zu schlagen. Zwei, die mit Sicherheit die Spitzenkandidatur der PD unter sich ausmachen werden.
Enrico Letta heißt der eine, sein Gegenspieler Matteo Renzi – und sie haben recht viel gemeinsam. Beide kommen aus der Toskana – Renzi aus Florenz, wo er als Bürgermeister regiert, Letta aus Pisa – , beide sind Juristen, beide sind für italienische Politikverhältnisse blutjung – Letta zählt 47, Renzi 38 Jahre – vor allem aber: Beide stammen aus der Christdemokratie. Es klingt wie ein Treppenwitz. Ausgerechnet jene Partei, deren klare Mehrheit von den politischen Nachfahren der glorreichen Kommunistischen Partei gestellt wird, hat beste Chancen, unter zwei früheren Christdemokraten ihr Heil zu suchen – Don Camillo übernimmt bei Peppone.
Damit hören die Gemeinsamkeiten zwischen Letta und Renzi aber auch schon auf. Man mag sich den einen wie den anderen als Klassensprecher vorstellen, als sie noch zur Schule gingen. Als Klassensprecher allerdings, die aus völlig unterschiedlichen Motiven gewählt wurden. Letta verkörpert den Typus des ewigen Klassenbesten, der mit allen Lehrern gut kann, der aber auch unter seinen Kumpanen wohlgelitten ist, jedermanns Freund. Nach außen brav und immer leise, im Innern aber von kräftigem Ehrgeiz getrieben, und immer vorne dabei. Eine Prädikatsdoktorarbeit in Europarecht, mit 25 Vorsitzender der Jugend der europäischen Christdemokraten, 1996 mit 32 Jahren in Romano Prodis Mitte-Links-Regierung als Italiens jüngster Minister aller Zeiten, Zuständigkeit: Europa.
Politik hatte der kleine Enrico schon in der Familie geatmet: Onkel Gianni war der Chefredakteur einer stramm rechten Tageszeitung. Seit 20 Jahren dient Gianni Letta auch Berlusconi als engstem Berater – der Neffe hat so einen kurzen Draht zur italienischen Rechten. Das Wort „links“ nimmt er dafür nicht allzu oft in den Mund; Letta setzt eher auf die Aura des modernen, kompetenten Technokraten.
Ganz anders Matteo Renzi. Nicht wie ein freundlicher, leicht unterkühlter Streber wirkt der Bürgermeister, sondern eher wie einer, der immer schon gern den Klassenclown gab, nie um einen flotten Spruch verlegen, und allzeit gern bereit, Lehrern, Autoritäten überhaupt mit entwaffnender Ironie nahezutreten, auch auf das Risiko eines Tadels. Renzi legte ebenfalls eine Blitzkarriere hin. Der Sohn eines christdemokratischen Dorfbürgermeisters wird schon mit 29 Jahren zum Präsidenten der Provinz Florenz gewählt, im Jahr 2009 liefert er dann sein Gesellenstück ab, als in der PD die Vorwahl für die Bürgermeisterwahlen von Florenz anstehen. Als völliger Außenseiter tritt Renzi an – und schlägt die bestens verankerten Apparatschiks.
Damals fand Renzi endgültig seine Rolle: als Politiker, der „gegen die Apparate“ seinen Weg macht, als einer, der sich ohne Umweg über die Partei direkt an die Anhänger und Wähler wendet – um dann im Zweifelsfall zur feindlichen Übernahme zu schreiten. Als „Westentaschen-Berlusconi“ musste er sich deshalb oft genug schmähen lassen, oder auch als „Beppe Grillo light“ – mit beiden hat er die Anti-Establishment-Attitüde gemein. Als 2012 die PD vor den Parlamentswahlen 2013 zu den Vorwahlen schritt, warf Renzi sich gegen den klar favorisierten Pierluigi Bersani ins Rennen – und holte knappe 40 Prozent. Als „Verschrotter“ hatte er ohne falsche Höflichkeit und Bescheidenheit seine Kampagne geführt: Zur Verschrottung stand die alte Garde der PD. Und Renzi schielte dabei auch ziemlich unverhohlen nach rechts, lobte ausgerechnet den Fiat-Boss Sergio Marchionne, als der sich mit den Gewerkschaften im Konzern anlegte. Überhaupt sind Renzi Berührungsängste fremd. Als Berlusconi noch Regierungschef war, ließ er sich von ihm zum Mittagessen einladen, und vor wenigen Monaten speiste er mit Flavio Briatore, dem reichen und windigen Lebemann, der gestandenen italienischen Linken als rotes Tuch gilt.
Solche Eskapaden schaden Renzi nicht, im Gegenteil. In allen Umfragen führt er unangefochten, als populärster Politiker Italiens. Und am 8. Dezember wird der Apparatgegner wohl den Apparat übernehmen: In der dann anstehenden Urwahl des neuen PD-Parteichefs, bei der alle Anhänger der PD mitstimmen dürfen. Nur ein ernsthafter Konkurrent verbleibt ihm : Letta. Der darf nach der glücklich überstandenen Regierungskrise für sich reklamieren, den Skalp Berlusconis nach Hause gebracht zu haben. Der eine als Partei-, der andere als Regierungschef: Renzi und Letta sind das neue Tandem der PD. Doch ein Konflikt ist schon vorprogrammiert. Renzi lässt immer wieder durchblicken, dass er nur auf ein Amt wirklich Lust hat – auf das des Ministerpräsidenten.