RUSSLANDS AUSSENPOLITIK WILL KONKURRENZFÄHIG WERDEN : Umworbene islamische Welt
Derzeit erscheint Russland – mit China – als besonnener Unterstützer des iranischen Atomprogramms. China orientiert sich dabei an seinem künftigen Energienachschub. Die russischen Interessen sind etwas differenzierter. Russland verdient sein Geld gegenwärtig vor allem mit dem Energie-Export. Dank der hohen Preise für Öl und Erdgas ist es recht gut bei Kasse. Auch sonst sind die Beziehungen zum Westen gut, wo niemand die Menschenrechtsforderungen an die Moskauer Regierung in politische Pressionen umsetzen will.
Allerdings will Russland im geostrategischen Wettbewerb mit den USA in Mittelasien und im Kaukasus verlorenen Boden zurückgewinnen, umso mehr, als die Amerikaner dort Fehler gemacht und kleinere Rückschläge erlitten haben. In den Öffentlichkeiten der islamischen Welt ist Washington gegenwärtig denkbar unbeliebt – vor allem bei jenen, die von der Religion die Hoffnung auf ein würdigeres Leben beziehen.
Russland wiederum kann sich bemühen, den sowjetischen Krieg in Afghanistan und den gegenwärtigen in Tschetschenien vergessen zu machen. Hinter der russischen Unterstützung der iranischen Regierung stecken also nicht nur wirtschaftliche Interessen. Wie im Falle der Hilfe für die Hamas-Regierung zeigt sich hier eine strategisch kalkulierte Werbung in der islamischen Welt.
Diese russische Werbung zielt noch auf eine zweite soziale Gruppe, die in einigen Jahren im Iran an die Macht kommen könnte, die dort jetzt schon gewichtig und auch in der muslimischen Peripherie Russlands präsent ist. Es handelt sich um die eher säkularen, gut ausgebildeten Mittelschichten, zu denen nicht zuletzt die Atomwissenschaftler selbst gehören. Diese jungen Leute lernen Englisch und nicht Russisch; sie träumen von San Francisco und nicht von Nowosibirsk. Aber sie sind zugleich durchaus nationalistisch; im amerikanischen und europäischen Bemühen, die Atomproduktion zu verhindern, sehen sie eine Beleidigung. Auch bei ihnen kann Russland mit seiner demonstrativen Besonnenheit Sympathien suchen, die es sonst nicht findet. Auch das ist eine strategische Option für die Zukunft – auch wenn zweifelhaft ist, ob sie sich auszahlen wird. ERHARD STÖLTING