„Wir wollten die Kontroverse“

DOKUDRAMA Rudi Dutschke wurde von den Studenten der 68er geliebt und von den Konservativen gehasst. Aber auch seine Wegbegleiter hatten ein sehr unterschiedliches Bild von ihm – das zeigt „Dutschke“. Ein Gespräch mit den Machern Stefan Krohmer und Daniel Nocke

■ Daniel Nocke (hinten), geboren 1968, gewann bereits 1999 für seinen Kurzanimationsfilm „Der Peitschenmeister“ einen Adolf-Grimme-Preis. Seit über zehn Jahren schreibt Daniel Nocke die Drehbücher für fast alle Filme Stefan Krohmers – und mehr, etwa das Buch für „Der verlorene Vater“ (Freitag, 20.15 Uhr, Arte).

■ Stefan Krohmer, 1971 geboren, studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg Regie, wo er Nocke und „Dutschke“-Produzent Nico Hofmann kennenlernte. 2002 gewann er mit Nocke zusammen einen Grimme-Preis für „Ende der Saison“, 2004 den Preis der deutschen Filmkritik für „Sie haben Knut“. Foto: Olaf Ballnus

INTERVIEW DAVID DENK

taz: Herr Krohmer, Herr Nocke, im März haben Sie Ihr Dokudrama „Dutschke“ vorab im Berliner taz-Café gezeigt. Während die jüngeren Gäste den Film eher positiv aufgenommen haben, haben viele Ältere ihn klar abgelehnt, darunter auch taz-Autor Christian Semler. Hat Sie das gewundert?

Daniel Nocke: Nein, das hat mich nicht überrascht – auch wenn ich mir da vorher keine Gedanken drüber gemacht hatte. Bei der taz-Veranstaltung ging es aber nicht vor allem um die Auseinandersetzung von Generationen, sondern darum, dass viele alte SDSler im Publikum saßen, die ihre Haltungen und ihre Arbeit im Film denunzierend dargestellt fanden.

War Ihnen also von Anfang an klar, welch heftige Kontroverse dieser Film auslösen würde?

Nocke: Das war ja die Hoffnung, die wir schon in dem Moment hatten, in dem wir den Film gedreht haben. Vieles, was bei der taz-Veranstaltung gesagt wurde, hätten wir gerne auch vor der Kamera gehört. Das war genau die Stimmung, die wir erzeugen wollten, nach der wir uns gesehnt haben. Wenn uns die alten SDSler anschreien, was denn mit unseren Idealen sei, und außerdem hätte Dutschke ihnen sehr wohl zugehört – das wären tolle Statements für unseren Film gewesen. Dass die Aufregung auch nach dem Film stattfindet, geht aber in Ordnung.

Wahrscheinlich musste erst der Film als Grundlage da sein, worüber man sich aufregen kann.

Nocke: Ich habe versucht, den Zeitzeugen, die ich für den Film interviewt habe, zu erklären, was wir vorhaben, dass wir die Kontroverse wollen, zu klaren Worten herausfordern wollen. Den fertigen Film konnte ich ihnen ja schlecht zeigen, denn der basiert ja wiederum auf den Interviews.

Auch in der Presse wird der Film heftig angefeindet: Die Welt wirft Ihnen „Geschichtsfälschung“ und „Manipulation“ vor, im Focus spricht Dutschke-Freund Milan Horaczek von „Betrug am Zuschauer“. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Stefan Krohmer: Wenn man einen Film über Dutschke macht und niemand würde sich aufregen, hätten wir etwas falsch gemacht.

Bei der taz-Diskussion wurde bemängelt, dass der Film zu sehr auf die Person Dutschke fokussiert ist und der Breite der Bewegung nicht gerecht wird.

Nocke: Das war aber die Grundidee. Wir wollten einen Film über Dutschke und nicht über den SDS oder 1968 im Allgemeinen. Wir wollten nachvollziehen, was seine Wirkung ausgemacht hat, was ihn so stark hat wirken lassen – auch über seinen Tod hinaus. Eine Darstellung zu finden, die das möglich macht, war unser Ziel – allerdings ohne zu behaupten, dass das die einzige mögliche Sichtweise auf Dutschke ist. Wir haben ja auch Leute im Film, für die Dutschke eine Nervensäge war. Aus diesen weit auseinandergehenden Sichtweisen auf ihn und auf die Zeit wollten wir einen abwechslungsreichen Film machen.

Das hätte auch als Dokumentarfilm funktioniert, Sie haben die Zeitzeugeninterviews aber bewusst mit Spielszenen verschränkt. Warum?

Nocke: Weil ich die Faszination, die mir beschrieben wird, in Filmbilder übersetzen wollte, um damit etwas zu schaffen, worüber sich die Leute aufregen können. Auf diese Weise sollte ein dokufiktionaler Film entstehen, in dem man sich nicht die ganze Zeit bestätigt, in dem die Interviews eben nicht die Spielszenen beglaubigen oder die Spielszenen immer genau das illustrieren, was die Zeitzeugen gerade gesagt haben.

Krohmer: Außerdem haben wir den Film von Anfang an in dem Wissen gemacht, dass er um 20.15 Uhr laufen würde. Und wenn es darum geht, Leute erst mal für Dutschke zu interessieren, die sich bisher noch überhaupt nicht mit ihm beschäftigt haben und auch kein Interesse an seiner Zeit haben, ergibt die dokufiktionale Form auch mehr Sinn, weil sie zugänglicher ist. Spätestens als wir das Gerüst der Interviews hatten, war mir klar, dass der Film auch lustig werden würde, unterhaltsam, ohne dabei oberflächlich zu sein, ein humorvoller Film über diese ja angeblich so humorlose Zeit.

Wäre das mit dem Humor denn ohne einen begnadeten Unterhalter wie Gaston Salvatore, dem eindeutigen Publikumsliebling Ihres Films, denn so einfach gewesen?

„Wenn sich niemand aufregen würde, hätten wir etwas falsch gemacht“

Nocke: Natürlich haben wir auf solche Leute gehofft und waren sehr froh, nachdem wir das Interview mit ihm geführt hatten. Wir hätten so lange Interviews geführt, bis wir die Auseinandersetzung gehabt hätten, nach der wir suchten. Aber ich hatte eigentlich keine Sorge, dass das beim Thema Dutschke und 1968 auch klappt.

Sie haben also nicht von Anfang an auf die Auseinandersetzung zwischen dem nach rechts abgedriften Dutschke-Weggefährten Bernd Rabehl und seinem Konkurrenten um die Gunst des Studentenführers, Gaston Salvatore, gesetzt?

Nocke: Das hat sich in den Interviews ergeben. Wir haben auf Auseinandersetzung gesetzt zwischen den Zeitzeugen, das auf jeden Fall, aber nicht konkret auf diese beiden.

Sie arbeiten häufig und eng zusammen. Warum eigentlich?

Nocke: Weil es gut klappt. Wir haben eine ähnliche Sicht auf die Dinge, finden ähnliche Sachen lustig – also: Warum sollte man es ändern?

So leidenschaftslos?

Krohmer: Wir haben jedenfalls keine Mission, kein Dogma aufgeschrieben, an das wir glauben. Das ergibt sich.

Wie haben Sie Ihre Zusammenarbeit organisiert?

Krohmer: Daniel hat die Interviews geführt, ich habe sie gemeinsam mit dem Kameramann Patrick Orth aufgezeichnet, was für mich ein guter Einstieg ins Thema war. Daniel war zu dem Zeitpunkt schon viel weiter, weil er sich natürlich auf die Interviews vorbereitet hatte. Ich war mir ehrlich gesagt anfangs noch gar nicht so klar darüber, ob ich jetzt unbedingt derjenige sein muss, der diesen Film macht. Als ich diesen Gesprächen beiwohnte, ist mir schon sehr früh der Gedanke gekommen, dass ich eine Figurenerzählung haben will, die sich über beide Teile erstreckt. Bei jemandem wie Gaston Salvatore sollte der Zuschauer das Gefühl haben, im Interview wie in den Spielszenen ein und dieselbe Figur zu sehen. Das fand ich erstrebenswert, das war für mich der Punkt, an dem ich wusste, warum ich den Film mache. Meine wesentliche Rolle begann aber natürlich, als ich die Szenen von Daniel bekam.

Was ist es, was Sie aus der Perspektive der Nachgeborenen dem Dutschke-Bild hinzufügen wollten?

■ Der Fernsehfilm „Dutschke“ (Dienstag, 20.15 Uhr, ZDF) wurde von den Machern als sogenanntes Dokudrama inszeniert: Neben nachgespielten Szenen aus seinem Leben zeigt der Film Archivbilder und gelegentliche Interviewsequenzen mit Zeitzeugen. Im Zentrum stehen vor allem die besonders bewegten Jahre des Wortführers der Studentenbewegung von 1968. Die Widersprüchlichkeit der Interviews soll die unterschiedlichen Erinnerungen und Einordnungen einer so kontroversen und polarisierenden Person wie Rudi Dutschke vermitteln. Gretchen Dutschke kommt ebenso zu Wort wie die Weggefährten Gaston Salvatore oder Bernd Rabehl.

Nocke: Ich wollte dem Dutschke-Bild überhaupt nichts hinzufügen, weil ich gar nicht für mich beanspruche zu wissen, wer Dutschke ist, und das erzähle ich euch jetzt mal. Davon bin ich weit entfernt. Ich versuche zu verstehen, was mit die Zeitzeugen erzählen, und versuche, die Faszination zu begreifen, die sich mir persönlich erst mal nicht erschließt. Wenn ich alte Dutschke-Reden sehe, dann habe ich nicht das Gefühl, sofort die Fensterscheiben von Deutsche-Bank-Filialen einschmeißen zu müssen, wie es Peter Schneider bei der Premiere von der jüngeren Generation gefordert hat.

Was sehen Sie, wenn Sie Dutschke reden hören?

Nocke: Einen engagierten Redner, der im Ton seiner Zeit, einem Ton, der mir nicht mehr aktuell scheint, seine Mitmenschen mitzureißen versucht, mich heute aber vor dem Fernseher nicht mehr erreicht. Meinen speziellen Blickwinkel habe ich nie vergessen und nie über andere gestellt. Ich wollte dem Dutschke-Bild nichts hinzufügen, sondern die Tatsache nutzen, dass Leute anfangen, sich zu streiten, wenn sie den Namen hören.

Was ist für Sie das eindrücklichste Bild Ihres Films bezüglich der Faszination, die von Dutschke ausging?

Nocke: Für mich ist die Szene sehr wichtig, in der Dutschke es auf einer Party nicht lassen kann zu theoretisieren, während alle anderen längst trinken und tanzen. Es freut mich, dass es Stefan und der Darsteller Christoph Bach geschafft haben, die charismatische Wirkung, die uns Zeitzeugen beschrieben haben, auch in so einem Moment deutlich werden zu lassen.

Krohmer: Das ist ein Mosaik. Ein wichtiges Steinchen für mich ist, dass Dutschke eben nicht nur aggressiv aufgewiegelt hat, sondern auch die Gabe hatte, immer mit einem Lächeln auf sein Gegenüber zuzugehen und den Leuten das Gefühl zu vermitteln, dass er sie respektiert, wirklich an dem interessiert ist, was sie zu sagen haben – auch wenn er völlig anderer Meinung ist und sie anschließend vom Gegenteil zu überzeugen versucht. Diese Haltung hat er gelebt, dadurch entstand eine Nähe zum Volk. Die Leute fanden ihn einfach glaubwürdig und haben deswegen über seine Endlosreden hinweggesehen, deren Inhalt sich bestimmt auch damals nicht jedem sofort erschlossen hat.