: Models im Treppenhaus
Der Fotograf und Sammler F. C. Gundlach ist fast am Ziel: Sein „Internationales Haus der Photographie“ in den Deichtorhallen ist auch außen nahezu komplett, und er selbst wählt Fotos für die erste große Ausstellung aus eigener Sammlung aus. Aber Selbstzufriedenheit will sich nicht einstellen
Von Petra Schellen
Manchmal rattert noch der Bagger vorm Fenster. Besonders dann, wenn der Sammler in Ruhe sortieren will; vielleicht wollen die da draußen zeigen, wie eifrig sie noch bauen. Denn noch ist sie nicht fertig, die Außenanlage des Hamburger „Internationalen Hauses der Photographie“, in dessen Auditorium Gründungsdirektor F. C. Gundlach sitzt, matt beschienen von der Abendsonne.
Inmitten hunderter Fotos aus seiner Sammlung sitzt er da, fast erstickt von den Massen, wie immer im schwarzen Anzug und dezent bunten Schal. Er schaut stets ein bisschen unzufrieden, als gehorchten ihm die Fotos nicht so recht; vielleicht sind sie im Lauf der Jahre zusammen mürrisch geworden, die vielen Bilder und er. Er kennt sie alle und wird auch schon mal ungehalten, wenn sein Assistent „das Bild mit dem Baum links in der Ecke“ nicht gleich findet. Doch, doch, er hat Verständnis. Aber nur ein bisschen. Denn eigentlich sollten die Helfer seinen Gedankensprüngen inzwischen folgen können.
Für die große Herbstausstellung wählt er derzeit Exemplare aus seiner 12.000 Bilder umfassenden Sammlung aus. Rund 100 liegen im Auditorium auf Tischen und Boden. Ein provisorischer Themenplan hängt an der Wand. Chronologisch und geographisch will er vorgehen. Vorläufiger Titel der Schau: „Das Bild des Menschen“.
Seit gut einem Jahr residiert seine Sammlung nun schon in der Deichtorhalle, einem ausgedienten Blumen-Großmarkt am Schnittpunkt zwischen Museumsmeile und dem visionären Stadtteil HafenCity. Zum Ausstellungsareal wurden die beiden lichten Gebäude in den Achtzigern umfunktioniert. Jahrzehntelang fanden dort renommierte Schauen moderner Kunst statt. Im vorigen Jahr dann wurde aus der Südhalle das „Internationale Haus der Photographie“; wichtigster Initiator: F. C. Gundlach.
Jahrzehntelang hatte der ehemalige Modefotograf für eine angemessene Heimat seiner Fotos gefochten – ein Kampf, der für ihn Symbolkraft hat. Wieder und wieder hatte er für ein Fotomuseum getrommelt. Die Reaktion: taube Ohren. „Es ist unglaublich, wie lange die Menschen gedacht haben, fotografieren könne jeder. Und das in einer Medienstadt wie Hamburg! Ein Skandal!“ Er wundert sich, aber so richtig aufgeregt wird er nicht. Bedächtig und ein ganz klein wenig larmoyant erzählt er, wie schwer es die Fotografie in den vorigen Jahrzehnten gehabt habe,und dass der Bewusstseinswandel nur langsam gelinge.
Der fast 80-jährige Sammler weiß, wovon er spricht. In den Sechzigern war er noch per Vertrag fest in die belieferten Redaktionen eingebunden. „Das war mir sehr wichtig. Ich wollte nie einfach nur ins Blaue hinein produzieren.“ Heute sei das anders. „Da bedienen sich die Redaktionen einfach. Nichts für ungut, aber solch eine Mentalität erzeugt eine große Beliebigkeit und erlaubt dem einzelnen Fotografen wenig Entwicklung.“ Ganz abgesehen davon, dass die digitale Fotografie ganz neue Inszenierungsmöglichkeiten biete, die mit der Realität nur noch wenig zu tun hätten.
Gundlach hat in den Sechzigern die Pariser Haute-Couture-Schauen fotografiert – damals, als alles anders war. „Da gab es keinerlei Inszenierung. Man harrte stundenlang im Treppenhaus aus, um die Modelle zu treffen. Die Geschichte dazu musste der Fotograf selbst erzählen.“ Und auch wenn er selbst – 20 Jahre lang Exklusiv-Fotograf für die Brigitte – es recht komfortabel gehabt habe, „hatten etliche Modefotografen doch zeitlebens keine Chance, ihr Werk angemessen publizistisch zu präsentieren.“ Dem möchte er abhelfen.
Mit Fotos des kaum bekannten Ungarn Martin Munkácsi hat er deshalb vor einem Jahr sein „ Internationales Haus der Photographie“ eröffnet. Parallel hatte man Gundlach zu einer kleinen Schau eigener Fotos überredet, aber das war ihm gar nicht so recht. „Es geht hier nicht um mich“, sagt er im schon dämmrigen Auditorium; die Baggerfahrer haben jetzt Feierabend. „Es geht darum, anhand dieser Fotos eine kleine Sozialgeschichte der Menschheit aufzufächern. Und was eignete sich hierfür besser als Abbildungen von Mode, sprich: Kleidungs-Konvention?
Und das nicht erst seit gestern: Mit weißen Handschuhen zieht er jetzt Fotos von 1860 aus einer Hülle. Ernst schauende Männer und Kinder sind darauf zu sehen. Sie ähneln einander, wie sich die Menschen auf niederländischen Porträts des 17. Jahrhunderts gleichen: adrett das Gesicht, exakt im 90-Grad-Winkel arrangiert der Arm. Ein ganz klein bisschen erstarrt wirken sie, als wollten sie sichergehen, nicht verkannt zu werden. „Und wie lange die da ausharren mussten! Das hat ja ewig gedauert, bis diese Bilder belichtet waren!“ Gundlach ist ein bisschen fassungslos angesichts der Mühsal der Foto-Pioniere, die so beflissen Zeitgeist abbilden wollten. „Auch Mode ist immer Ausdruck von Zeitgeist gewesen – vielleicht sogar der beste Indikator“, glaubt der Sammler.
Aber ist Mode wirklich nur Uniform; lebt sie nicht auch von der Spannung zwischen Individualismus und Konformismus? „Ganz auflösen lässt sich dieser Widerspruch nicht: Denn fast immer steht am Beginn der Trend.“ Er beugt sich über ein paar Bilder aus den 30er Jahren, die mehrere elegante Grazien zeigen. „Zu Beginn definiert man sich über die Unterscheidung. Immer im Bewusstsein allerdings, dass man Trendsetter ist.“ Denn auf Dauer ganz anders sein will man natürlich nicht. Eher so etwas wie eine In-Group, die immer größer wird, bis sich die Masse als ,kollektives Individuum‘ definiert. „Dieses Foto hier ist zum Beispiel aufgenommen in den Zwanzigern an der New Yorker Börse.“ Eine Masse mit Hüten, alle gleich, von oben abgelichtet. „Und ich sage Ihnen, das war keine bewusste Uniform. Sondern gelebter Zeitgeist. Konvention.“ Ein Einziger trägt keinen Hut. Dort hinten, verschattet, ganz am Rand. Vorbote des neuen Trends?
Auf anderen Fotos ähneln sich die Protagonisten bis in die Physiognomie. Genetik- oder ernährungsbedingt? „Es ist eben so“, sagt Gundlach, ohne sich in Philosophischem zu verheddern. Als Fotograf hat er wahrzunehmen, was ist. Da mag er nicht spekulieren. Er hat die Geschichte der Modefotografie gelebt, hat Trends kommen und gehen sehen. Er kennt die Zyklen. Die wiederkehrenden Ähnlichkeiten, deren Protagonisten sich stets als einzigartig empfinden. Und er setzte etwas gegen den Trend. Nicht in seinen Fotos. Aber durch sein endlich erkämpftes Museum. Ist er denn nun zufrieden? Ja, schon. Aber andererseits – passt Zufriedenheit nicht recht zu ihm. Denn das hieße ja, alles fertig und sortiert zu haben. Auch das eigene Werk und Leben. Und das liegt dem fast 80-Jährigen fern. Auch wenn die Abschiede schmerzlicher werden.