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Archiv-Artikel

Konzerne machen Berlin zum Rummelplatz

Große deutsche Firmen nutzen zentrale Orte Berlins während der Fußball-WM als Werbekulisse – zum Nulltarif

BERLIN taz ■ Einen besseren Ort konnte der Sportartikelhersteller Adidas für sein Werbeprojekt zur Fußball-Weltmeisterschaft nicht finden. Nur ein paar Schritte vor dem Reichstag errichtet er gerade ein Ministadion mit 9.000 Sitzplätzen und Großleinwänden – und erhofft sich, ganz nebenbei, werbewirksame Fernsehbilder vor historischer Kulisse.

In der Hauptstadt wird derzeit heftig über Kommerz im öffentlichen Raum gestritten. Denn vor der WM drängen Großkonzerne mit Werbeprojekten massiv wie nie ins Stadtbild, unterstützt von Senat, Bezirken und dem Weltfußballverband Fifa. „Es ist bedenklich, wie sich die öffentlichen Instanzen den Konzerninteressen unterordnen“, sagt der Berliner Linkspartei-Landeschef Klaus Lederer. Und die Grünen-Politikerin Franziska Eichstädt-Bohlig wettert: „Berlin macht sich zum nationalen Rummelplatz.“ Sie vermutet hinter der Adidas-Arena die „Sehnsucht nach Disneyland“.

Gleich mehrere Projekte erregen die Gemüter. Die Telekom hat den Fernsehturm mit Klebefolie zum Riesenfußball umdekoriert. Allerdings leuchtet dieser in der Konzernfarbe Magenta, was der sonst silbern schimmernden Kugel einen dezenten Akne-Look verpasst. Der Senat steht hinter der Aktion. „Im Kommunikationsgewitter vor der WM brauchen wir spektakuläre Bilder, die ein positives Bild der Hauptstadt transportieren“, sagt ein Sprecher. Das Bild des Fernsehturms werde vor, während und nach der WM „milliardenfach gedruckt und gesendet“.

Spektakuläre Bilder bieten auch andere Wahrzeichen – dank der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“. Bundesregierung und deutsche Konzerne haben sich zu einem Public Private Partnership zusammengetan, das Budget von 22 Millionen Euro teilen sich beide Seiten. Unter der Regie der Initiative wurden an anderen historisch bedeutsamen Orten riesige Skulpturen aus Kunststoff aufgestellt. Sie sollen den Ideenreichtum deutscher Erfinder symbolisieren, so der Pressetext. Das Konzerninteresse wird dabei kaum kaschiert: Ein paar Meter vor dem Brandenburger Tor steht ein Auto aus Plastik, das ein aktuelles Audi-Modell kopiert. Im Regierungsviertel liegen Stollenschuhe, die drei Streifen zieren. Eine Texttafel lobt den Erfindungsgeist von Adolf Dassler, dem Adidas-Gründer. Hinter dem Reichstag macht sich eine überdimensionierte Tablette mit stilisiertem Bayer-Kreuz breit.

Die Sprecherin der Initiative, Steffi Würzig, räumt „eine sehr große Ähnlichkeit“ mit den Produkten ein. Linkspartei-Chef Lederer wird deutlicher: „Das Stadtbild wird von einer Skulpturengalerie der Großkonzerne degradiert.“ Eichstädt-Bohlig lästert, der Senat überlasse den Firmen die hoch verschuldete Stadt als „kostenlose Werbefläche“.

Die Stadtkulissen gibt’s quasi zum Nulltarif. Der Fernsehturm gehört der Telekom. Für die Plasteskulpturen fallen keine Mietgebühren an, sagt Sprecherin Würzig. Nur Bearbeitungs- und andere Gebühren würden bezahlt. Und Adidas zahlt für seine Arena – außer den Kosten für die Wiederherstellung des Areals – nur normale Straßennutzungsgebühren, so der Senatssprecher. „Es ist erschreckend, wie bedenkenlos der Senat auf die Einnahmen verzichtet“, kommentiert Eichstädt-Bohlig.

Doch auch kommerzfreie Projekte ziehen Kritik auf sich. Der Bundestag plant im Regierungsviertel einen 22 Meter hohen Nachbau der Reichstagskuppel. Kanzleramtsarchitekt Axel Schultes bezeichnet den Bau, der die Arbeit des Parlaments erklären soll, als „albernes Duplikat“. Nicht ganz uneigennützig. Schultes will auf der Fläche vor dem Bundeskanzleramt ein Bürgerforum mit einer Ausstellung zur deutschen Geschichte realisieren. ULRICH SCHULTE