: Gasprom versucht’s mit Erpressung
Russischer Konzern droht, weniger Gas zu liefern. Bundesregierung ist verstimmt
BERLIN taz ■ Ein Thema steht schon fest, wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Russlands Präsident Wladimir Putin nächste Woche treffen: Gasprom. Firmenchef Alexej Miller hat angekündigt, dass der russische Staatskonzern die Gaslieferungen in die EU einschränkt, falls Gasprom nicht europäische Energieunternehmen kaufen darf. „Drohungen sind nicht hilfreich“, konterte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm gestern in Berlin.
Schon länger halten sich Spekulationen, dass sich Gasprom an europäischen Versorgern beteiligen will. Für den Konzern geht es um viel Geld: Bisher liefert er nur das Gas – nun will er auch am Geschäft mit den Endkunden verdienen.
So meldete die Berliner Zeitung gestern, Gasprom und RWE verhandelten über gemeinsame Gaskraftwerke. Eine RWE-Sprecherin wollte sich dazu nicht äußern: Das seien „Marktspekulationen“. Eine ähnliche Spekulation bewegt die Briten schon länger. In London hält sich das Gerücht, dass Gasprom den größten britischen Gasversorger Centrica übernehmen wolle. Die britischen Wettbewerbshüter schlugen daraufhin vor, schärfere Regeln für Firmenübernahmen einzuführen. Diese Abwehrmaßnahme dürfte Miller veranlasst haben, die Europäer drohend daran zu erinnern, dass Gasprom „neue Märkte wie Nordamerika und China aktiv entwickelt“.
Momentan importiert Europa etwa 50 Prozent seines Gasverbrauchs, doch dieser Anteil wird bis 2020 auf etwa 75 Prozent steigen, schätzt die EU-Kommission. Denn die Vorkommen in den Niederlanden und in Großbritannien erschöpfen sich. Im vergangenen Jahr mussten die Briten erstmals selbst Gas importieren. Die Bedeutung von Russland wird daher steigen, das rund ein Viertel der weltweiten Gasreserven besitzt.
Gas lässt sich nicht leicht durch andere Energieträger wie etwa Erdöl ersetzen. „Öl ist noch stärker in einer Region konzentriert“, warnt Energieexperte Christoph Weber von der Universität Essen. Er rät, sich vom russischen Gas möglichst unabhängig zu machen. „Wir müssen uns mehr Gasanbieter erschließen.“
Die Technik dafür steht bereit: das so genannte Liquefied Natural Gas (LNG). Dabei wird das Gas auf minus 161,5 Grad gekühlt und in Flüssiggas verwandelt. Das Volumen schrumpft auf ein 600stel. Unabhängig von Pipelines lässt sich das Gas nun mit Tankschiffen über große Distanzen transportieren. Damit werden auch Gasvorkommen in Katar oder Nigeria für den europäischen Markt attraktiv. Die LNG-Technik ist nicht neu, aber erst jetzt wird sie lukrativ. Denn die Kosten haben sich in den letzten 20 Jahren halbiert – und gleichzeitig stieg der Gaspreis rasant.
Auf Flüssiggas setzen jedoch nicht nur die Europäer. Auch Gasprom hat die Vorteile entdeckt. Damit kann sich der Energiegigant neue Abnehmerkreise erschließen. Beispielsweise die USA, die Miller in seiner Erklärung explizit erwähnt, um die Europäer unter Druck zu setzen.
Die Kräfteverhältnisse verschieben sich: „Mit den Pipelines war Gas eingeteilt in regionale Märkte – jetzt wird es zum Weltmarkt“, analysiert Erdgasexperte David Bothe von der Universität Köln. Er hält die Ostseepipeline daher für „einen Fehler“, die Exkanzler Gerhard Schröder forciert hat und nun als Aufsichtsratschef kontrolliert. „Die Abhängigkeit von Russland wird noch größer.“ ULRIKE HERRMANN