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Archiv-Artikel

Explosion um 1.23 Uhr

Versagen des Personals, Konstruktionsmängel und das Sowjetsystem sind als Ursachen für den Super-GAU identifiziert worden. Erst die Schweden durchbrachen das Schweigen

Von REM

Für die westliche Welt begann der Reaktorunfall am Montagmorgen: Da schlugen schwedische Messstationen Alarm, sie maßen radioaktiven Fallout. Erst am Abend dieses Tages gaben die Sowjetbehörden auf internationalen Druck hin zu, dass in Tschernobyl „ein Atomreaktor beschädigt“ sei. Keine weiteren Informationen – außer dass eine staatliche Kommission installiert worden sei.

Die Wahrheit kam erst nach und nach ans Licht. Zwei Tage vorher, am Samstag, den 26. April 1986 um 1.23 Uhr war zum ersten Mal in der Geschichte der kommerziellen Atomkraft ein Reaktor explodiert – der Block 4 des ukrainischen Standorts Tschernobyl.

Die vier Reaktoren dort waren vom Typ RBMK 1000, aus dem Russischen übersetzt etwa „Hochleistungsreaktor mit Kanälen“. Ihre Stromerzeugung liegt bei maximal 1.000, ihre Heizleistung bei 3.000 Megawatt. Bedeutender Nachteil: Die reaktionssteuernden langsamen Neutronen werden von brennbarem Graphit erzeugt. Die Meiler gingen erst 1983 gerade noch rechtzeitig innerhalb des damals gültigen Fünfjahresplans der Sowjetunion ans Netz. Nicht einmal für alle vorgeschriebenen Probeläufe hatte es in der Eile gereicht. Einer davon sollte am 25. April 1986 nachgeholt werden. Der Versuch sollte beweisen, dass bei einem Verlust des Kühlmittels und gleichzeitigem Ausfall der Stromversorgung der Reaktorkern trotzdem noch ausreichend lange gekühlt werden kann.

Der Versuch läuft auch an, wird aber unterbrochen, weil die ukrainische Hauptstadt Kiew Strom anfordert. Erst neun Stunden später wird das Experiment fortgesetzt – nun allerdings mit einer neuen, nicht auf den Test eingestellten Betriebsmannschaft und mit einem Reaktorkern, dessen Zustand eigentlich nicht für das Experiment geeignet ist. Als die Leistung des Reaktors weiter gedrosselt wird, bricht die Kettenreaktion im Reaktor unvorhergesehen zusammen. Anstatt nun den Versuch abzubrechen und alle Kühlmittelpumpen wieder anzuwerfen, macht die Mannschaft weiter. Viele Sicherheitssysteme sind entgegen den Vorschriften abgeschaltet.

Plötzlich steigt die Leistung des Reaktors an. Die Experimentatoren versuchen noch eine Notabschaltung. Das misslingt, auch auf Grund der Konstruktionsmängel dieser Reaktorlinie. Der Reaktorkern produziert innerhalb von Sekunden die zehnfache Maximalleistung, etwa 30.000 Megawatt. Das sprengt alle Rohre und den Reaktorbehälter, um 1.23 Uhr und 47 Sekunden fliegt er auseinander und reißt auch das Dach auf.

Heißer Dampf steigt in die Höhe. Mit dem eindringenden Sauerstoff brennt das Graphit im Reaktor und erzeugt so immer neuen Sog. Löscharbeiten laufen an, sind jedoch nutzlos. Noch Tage später glüht der Reaktorkern hellweiß vor Hitze. Der Nachbarreaktor, nur durch eine Wand getrennt, ist durch die Hitze bedroht, hält aber stand. Der Wind weht. REM