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Archiv-Artikel

„Ich bin ein Multi-Heimatler“

Pedram Shahyar

„Es ist ein komisches Gefühl, im Bundestag zu arbeiten. Neulich steht CDU-Generalsekretär Volker Kauder vor mir und lächelt mich herzlich an. Beim Demonstrieren auf der Straße wäre mir das nicht passiert“

Heimat gibt es in der deutschen Sprache nicht im Plural. Es wird Zeit, dass sich das ändert. Denn Menschen wie Pedram Shahyar tragen mehr als eine davon in sich. Der 32-Jährige wurde im Iran geboren. Im Alter von zwölf Jahren flüchtet er mit seiner Familie nach Deutschland. Später studiert er in Wien. Neben den geografischen kennt Shahyar auch mehrere politische „Verortungen“. Jahrelang war der Literaturwissenschaftler Mitglied einer trotzkistischen Gruppe. Später ging er zu Attac. Derzeit bereitet er für die Linksfraktion im Bundestag die Proteste gegen den G-8-Gipfel vor, der kommendes Jahr in Heiligendamm an der Ostsee stattfinden wird.

INTERVIEW FELIX LEE und WALTRAUD SCHWAB

taz: Herr Shahyar, waren Sie schon mal in Heiligendamm an der Ostsee?

Pedram Shahyar: Nein. Aber seit klar ist, dass nächstes Jahr dort der G-8-Gipfel stattfinden wird, beschäftigt mich das noble Ostseebad ständig.

Etwa weil es Ziel der Globalisierungskritiker ist, das Gipfelgelände zu stürmen?

Heiligendamm wird während des Gipfels eine Hochsicherheitsburg sein. Da werden wir wenig ausrichten. Wir wollen uns nicht mit Polizei und Armee anlegen, sondern durch Proteste Zeichen setzen. Wir hoffen, dass sich mindestens 100.000 Leute an Demonstrationen beteiligen. Da wir das G-8-Treffen für illegitim halten, wird es zudem gewaltfreie Aktionen und zivilen Ungehorsam geben. Man kann Zufahrtswege blockieren, man kann stören. Und wir werden beim Gegengipfel Alternativen zur Politik der G-8-Staaten aufzeigen.

Warum soll man eigentlich gegen das G-8-Treffen sein?

Dort kommen die mächtigsten Staatschefs der Welt zusammen. Es ist der Ort des globalen Regierens. Die G-8-Staaten vereinen den Großteil des weltweiten Bruttosozialprodukts und drei Viertel des Rüstungshaushalts. Beim G-8-Gipfel stimmen die Mächtigsten der Welt die globale wirtschaftspolitische Ordnung aufeinander ab. Und sie verständigen sich darauf, wie sie ihre neoliberale Ausbeutung besser durchsetzen können.

Globales Regieren, Mächtige der Welt, neoliberale Ausbeutung – ist das nicht alles ein bisschen pauschal? Sich zu treffen ist an sich nicht verboten.

Sie treffen sich ja nicht nur. Sie sprechen sich auch ab. Dabei ist weder Form noch Inhalt der dort entschiedenen Politik demokratisch legitimiert.

Sie erhoffen sich zum G-8-Gipfel in Heiligendamm den größten Gipfelprotest, den Deutschland je gesehen hat. Sie sind derjenige, der das bewerkstelligen soll.

Ich mache das nicht allein. Die größte Verantwortung haben die Leute vor Ort. Auf sie kommt eine Mega-Aufgabe zu – und die Strukturen der außerparlamentarischen Linken in Rostock sind nicht besonders stark. Wenn sich jemand erschlagen fühlt, dann die.

Trotzdem: Sie gehen davon aus, dass der Protest zustande kommt. Aber herrscht nicht vor allem Resignation vor in großen Teilen der Bevölkerung?

Sicherlich ist es so, dass es in den vergangenen fünf Jahren sehr viel Engagement gab, an der Realpolitik sich aber nicht viel verändert hat. Positiv entwickelt aber hat sich das öffentliche Bewusstsein: Globalisierung ist kein unhinterfragbares Naturgesetz mehr. Kapitalismuskritik ist hoffähig geworden. Wann sich das auf konkrete Politik niederschlägt, das ist eine andere Frage.

Woher nehmen Sie den Optimismus, dass das überhaupt irgendwann der Fall sein wird?

Keine Regierung kann auf lange Sicht an der Bevölkerung vorbeiregieren.

Wie lange nicht?

Ich bin kein Prophet.

Ist die soziale Bewegung, ist Attac stark genug für den nächsten Schritt: die Veränderung der Politik?

Attac ist vor gut einem halben Jahrzehnt entstanden und hat viel erreicht, was die Schaffung von kritischem Bewusstsein betrifft. Attac hat allerdings zwei Probleme. Erstens haben wir nicht mehr den Neuenbonus. Vor einigen Jahren musste ja jeder, der sich selbst kritisch fand, mal bei Attac vorbeischauen. Jeder konnte sofort mitgestalten. So offen sind wir nicht mehr. Zweitens: An der neoliberalen Politik in Deutschland konnten wir nichts ändern. Das müssen wir verarbeiten. Die Mühen der Ebene liegen vor uns. Gleichzeitig reifen wir auch. Wir werden erfahrener und schlauer.

Sieht das dann etwa so aus, dass man die Strategien von der Straße in die Parlamente verlagert, wie in Ihrem Fall?

Bei mir hat sich nichts ins Parlament verlagert. Ich arbeite bei der von der Linksfraktion im Bundestag eingerichteten Kontaktstelle zu den sozialen Bewegungen. Ich unterstütze die G-8-Protestbewegung von da aus mit parlamentarischen Initiativen. Was auf der Straße stattfindet, bleibt für mich zentral.

Wo sehen Sie Ihre politische Heimat?

Ich bin ein Multi-Heimatler. Ich bin natürlich sehr stark durch Attac sozialisiert. Ich bin gleichzeitig aktiv in einem undogmatischen, radikalen, linken Netzwerk. Von dort nehme ich mir viele Impulse für meine politische Arbeit. Und gleichzeitig arbeite ich im Rahmen der Linksfraktion.

Ihr Arbeitsplatz ist nun im Reichstag. Wie ist es dort?

Tatsächlich ist es ein komisches Gefühl, dort zu arbeiten. Neulich steht plötzlich der CDU-Generalsekretär Volker Kauder vor mir auf dem Flur und lächelt mich an. Da denke ich: Moment mal, der Typ, der sonst so fremdenfeindliche Sprüche von sich gibt, lächelt mich herzlich an. Beim Demonstrieren auf der Straße wäre mir das nicht passiert.

Sie sind gebürtiger Iraner. Hat man es als Migrant schwerer, sich in linken Kreisen hoch zu arbeiten?

Aus Opposition gegen meine Eltern habe ich irgendwann versucht, mich gar nicht mehr als Migrant zu fühlen. Ich dachte: Ich lebe hier, ich gehöre hierher, ich bin Deutscher. Und ich will hier politisch was verändern. Ich bin Teil dieser Gesellschaft und nicht der im Iran. Insofern habe ich versucht – wenn man so will –, mich zu assimilieren und mich meiner iranischen Wurzeln zu entledigen. Das hat sich vor einigen Jahren wieder geändert, weil ich gemerkt habe: Okay, sosehr du dich auch bemühst, Teil dieser Gesellschaft zu sein, du bist ja irgendwie doch anders.

Spielen diese persönlichen Erfahrungen auf dem Weg zum Globalisierungskritiker eine Rolle?

Indirekt schon. Meine Eltern waren im Iran in der Linken organisiert. Wir haben das Land verlassen, als die Mullahs an die Macht kamen. Nicht sofort nach der Machtergreifung: Zunächst gab es die Verfolgung und Zerschlagung der Linken. Zwei meiner Onkel wurden hingerichtet. Mein Vater war auf der Flucht, hat im Untergrund gelebt, versuchte zunächst über die Berge zu fliehen und ist dabei aufgeflogen. Ein Dreivierteljahr später schaffte er es mit Hilfe der Guerilla, die ihn aus dem Land schleuste.

Und Sie konnten mit Ihrer Mutter und Schwester ausreisen?

Ja. Wir waren konkret nicht so verfolgt, weil meine Mutter zu der Zeit nicht mehr politisch aktiv war.

Wo sehen Sie die Verbindung zwischen biografischen Erfahrungen und Globalisierungskritik?

Ich bin in einem linken Umfeld aufgewachsen mit einer Geschichte, in der es eine Revolution gab, die Linke eine Massenbewegung war und meine Familie Teil davon. Anders als viele Exiliraner haben sich meine Eltern nie von der Politik abgewandt und ihren Kindern gesagt: Wir sind gescheitert, wir haben alles verloren, lasst bloß die Hände von linker Oppositionsarbeit, seht zu, dass ihr beruflich schnell Karriere macht. Die linken Iraner, die geflüchtet waren, gehörten ja allesamt zur Bildungselite. Hier in Deutschland aber mussten sie die beschissensten Jobs erledigen.

Was haben Ihre Eltern stattdessen zu Ihnen gesagt?

Auch wenn wir gescheitert sind, unser Kampf war für eine gute Sache. Das hat mich beeindruckt. Deshalb bin ich auch auf die linken Bewegungen hierzulande gestoßen. Mit 17 bin ich in eine trotzkistische Gruppe hineingeraten, zu der ich zehn Jahre gehörte. Als dann 1999 die Globalisierungsproteste in Seattle stattfanden und die globalisierungskritische Bewegung in Deutschland entstand, sprang der Funke auf mich über.

„Ich habe versucht, mich meiner iranischen Wurzeln zu entledigen. Das hat sich vor einigen Jahren geändert, weil ich gemerkt habe: Sosehr du dich auch bemühst, Teil dieser Gesellschaft zu sein, du bist doch anders“

Sie sind dann aus der trotzkistischen Zelle ausgestiegen. Hatte das was Befreiendes?

Am Anfang war das sehr schwer. Dank trotzkistischer Sozialisation hatte ich ein klares Weltbild, klare Strukturen, klare, verlässliche Genossen. Nach meinem Austritt stand ich alleine da. Ich bin dann nach Berlin gezogen und hatte plötzlich viel mehr Fragen als Antworten. Bis man darin was Befreiendes sieht, das dauert. Erst wenn man sich eingesteht, dass man nicht wissen kann, wie die bessere Welt aussieht und den Weg dahin auch nicht kennt, wird es produktiv. Dann beginnt eine neues Phase des Lernens.

Wie beurteilen Sie als Globalisierungskritiker die derzeitige Situation im Atomkonflikt zwischen dem Westen und dem Iran?

Das ist eine verdammt komplizierte Geschichte. Jenseits dessen, dass ich hier aufgewachsen und Globalisierungskritiker bin, komme ich nun mal aus dem Land. Ich bin gegen einen Militärschlag auf den Iran. Da gibt es nichts zu diskutieren.

Warum?

Ein Militärschlag würde die Radikalislamisten nur wieder stärker. Man muss wissen, dass das Regime des Iran sehr isoliert ist in der Bevölkerung. Man darf sich von den Bildern des Staatsfernsehens nicht täuschen lassen. Millionen Menschen, die den Mullahs zujubeln, kriegt jede Diktatur zustande. Das ist keine Kunst. Die Mehrheit der Bevölkerung aber hat die Schnauze voll. Es gibt eine sehr starke, vielseitige, antiislamistische Oppositionsbewegung innerhalb und außerhalb des Irans. Ich stelle die These auf, dass das islamische Regime die größte Säkularisierungswelle in den vergangenen 500 Jahren bewirkt hat.

Wie meinen Sie das?

Dass sich das Regime zu einer fundamentalistischen Oligarchie und die herrschenden Mullahs zu Multimilliardären mit Auslandskonten entwickelt haben, das hat den Menschen die Augen geöffnet. Meine Großmutter zum Beispiel: Sie ist zwar irgendwie noch gläubig, aber sie hat ihren Gott für sich. Sie hat gar keinen Bock mehr auf irgendwelche Vermischung islamischer Regeln und Politik.

Militärschlag oder Invasion würde das Regime jedoch in die Rolle eines Märtyrers bringen und es stärken. Zugleich weiß ich: Das gesamte Atomprogramm des Iran ist auf die Bombe ausgerichtet. Das Land hat nämlich keine Energieprobleme. Außerdem wissen sie: Die US-Regierung will den Kopf des Regimes. Alles, was den Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad schützt, ist also die Bombe. Insofern gibt es da tatsächlich eine reale Gefahr. Es gibt aber friedliche Lösungen.

Welche?

Die USA muss dem Iran eine Nichtangriffsgarantie geben und im Gegenzug dem Regime abringen, dass es sein Atomprogramm einstellt.

Warum meldet sich Attac zu diesem Krisenherd derzeit nicht zu Wort?

Wir müssen nicht überall die Ersten sein, die was sagen.