: Berlins Annäherung an Istanbul
Ein Verein will die Städtepartnerschaft zwischen Istanbul und Berlin wiederbeleben. Das angestaubte Bild vieler deutscher, aber auch türkischstämmiger Berliner von der Türkei soll so aufpoliert werden
Von Michiel Hulshof und Alke Wierth
Staubige, unterentwickelte Dörfer, bewohnt von Bauern, die nicht lesen und schreiben können, wo alle Frauen Kopftuch tragen und so jung wie nur möglich verheiratet werden. Das ungefähr, meint der türkische Unternehmer Emre Kiraz, sei das Bild, das viele Berliner von der Türkei haben. Und zwar nicht nur die deutschstämmigen Eingeborenen. „Viele der türkischen Migranten kommen aus Anatolien. Sie haben die westliche Türkei noch nie besucht“, sagt Kiraz. Deshalb hat der Geschäftsmann den neuen Verein Berlin Istanbul Network mitgegründet und dessen Vorsitz übernommen.
Der Verein will die seit 1988 bestehende Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Istanbul wiederbeleben. Emre Kiraz: „Wir wollen Berliner türkischer Herkunft zusammenbringen mit der jungen kulturellen und intellektuellen Szene in Istanbul.“ So soll sowohl den Migranten wie auch den Deutschen gezeigt werden, dass es eine Türkei gibt jenseits des Klischees.
Unterstützung erhält er von der Politik. Denn auch Rainer Seiter, in der Senatskanzlei für Internationale Städteverbindungen zuständig und ebenfalls Vorstandsmitglied des Berlin Istanbul Network, klagt: „Karikaturenstreit, Kopftuchdiskussion, Zwangsheirat, Ehrenmord: Das sind die Themen, von denen man ständig hört. Aber es gibt auch eine moderne Türkei.“
Mit der pflegt der Kreuzberger Verein Kadiköy bereits seit zehn Jahren einen Austausch. Der Bezirk hat seit 1996 eine Partnerschaft mit dem Stadtteil Kadiköy auf der asiatischen Seite Istanbuls. Schlicht „Völkerfreundschaft und gegenseitige Neugier“ könne die Basis einer solchen Beziehung sein, sagt Christiane Zieger. Sie ist seit sieben Jahren die Vorsitzende des Vereins. „Wir wollten eine Beziehung auf Augenhöhe und keine Entwicklungspartnerschaft, von der nur eine Seite profitiert.“
Gegenseitigen Austausch gebe es vor allem zwischen sozialen Projekten: „In Kadiköy gibt es genau wie in Berlin viele Zuwanderer aus dem ländlichen Anatolien“, erzählt Christiane Zieger. Denen biete der Istanbuler Stadtteil Integrationshilfen: „Soziale Unterstützung wird dabei mit Bildungsangeboten kombiniert.“ Von diesen Istanbuler Integrationskursen für Neuzuwanderer aus dem eigenen Land hätten MitarbeiterInnen sozialer Einrichtungen in Kreuzberg bei Besuchen vielfältige Anregungen bekommen. „Es gibt natürlich Unterschiede zwischen den alt eingesessenen Kadiköyer Bürgern und den Neuzuwanderern“, sagt Zieger. „Doch sie werden dort mit Respekt und niemals herablassend behandelt.“
Die politische Kultur zwischen den beiden Bezirken sei sehr ähnlich, meint die Vereinsvorsitzende. Dies habe unter anderem den Ausschlag für den Stadtteil Kadiköy gegeben. Denn während vor zehn Jahren fast alle Bezirke Istanbuls von der islamistischen Refah-Partei regiert wurden, habe Kadiköy einen sozialdemokratischen Bürgermeister gehabt.
Politische Hintergründe waren auch die Ursache dafür, dass die große Partnerschaft zwischen den Städten lange brach lag. In den Neunzigerjahren war der derzeitige Premierminister der Türkei, Tayyip Erdogan, Bürgermeister von Istanbul. Seine damalige Partei, die Refah, hatte kein Interesse an Partnerschaften mit westlichen Städten. Das hat sich geändert, ebenso der Istanbuler Bürgermeister. Vergangenes Jahr besuchten die derzeitigen Stadtoberhäupter sich gegenseitig.
Das neu gegründete Berlin Istanbul Network will mit Kulturforen, Schulforen und einem Businessclub nun die Einwohner der beiden Metropolen zusammenbringen. Das könnte auch für Berlin neue Chancen bringen, glaubt der Vereinsvorsitzende Kiraz: „Warum machen so viele Türken Ferien in Paris, Rom oder Prag, aber nicht in Berlin? Warum studieren viel mehr Studenten aus Istanbul in den USA als im näheren Deutschland?“ Das Network könne die Berliner Universitäten und die Tourismusgesellschaft dabei unterstützen, sich in Istanbul besser zu präsentieren, so Kiraz. Im Mai wird der neue Verein seine Pläne bei einer Veranstaltung im Roten Rathaus präsentieren.