WOLF SCHMIDT ÜBER DAS „CHAOS“ AM 1. MAI
: Gehirn gegen Gewalt

Es herrscht Hysterie vor dem 1. Mai. Vor möglichen Toten warnt die Polizeigewerkschaft, schärfere Strafen fordert die Union, der Boulevard läutet den „Countdown zum Chaos“ ein.

Niemand kann abschätzen, ob die Gewalt am Wochenende eskalieren wird. Es gibt allerdings Entwicklungen, die Sorge bereiten. Neu und unberechenbar ist, dass die Neonazis gleich in mindestens einem halben Dutzend Städten auflaufen wollen. Und in den vergangenen beiden Jahren hat sich gezeigt, dass die braune Gewalt an unerwarteten Orten ausbricht: 2008 prügelten „Autonome Nationalisten“ in Hamburg, 2009 überfielen Neonazis Gewerkschafter in Dortmund.

Zum ersten Mal seit sechs Jahren wollen die Neonazis nun auch wieder in Berlin demonstrieren. Ausgangspunkt: die Bornholmer Brücke, wo sich einst friedlich die Mauer öffnete. In Sicherheitskreisen wird befürchtet, dass die Neonazis versuchen werden, ihren Marsch gewaltsam durchzusetzen – schließlich hatten sie im Februar in Dresden eine Schlappe eingesteckt. Doch wenn in Berlin die Gewalt schon am Mittag eskaliert, könnte es bei der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ am Abend auch heißer hergehen.

Umso wichtiger wäre es, dass linke Demonstranten die Neonazis friedlich bekämpfen. Dabei kann man durchaus an die Grenzen des Gesetzes gehen, etwa durch Sitzblockaden. Denn wer an einem solch symbolträchtigen Tag zivilen Ungehorsam zeigt, kann sich der Sympathie der Mehrheit der Bürger sicher sein. Aber dass unter den linken Demonstranten nicht nur Peaceniks sein werden, ist auch abzusehen. Antifa-Aktivisten posieren im Internet mit Baseballschlägern. Dazu der Spruch: „Nazis aufs Maul“. Dummheit aber bekämpft man nicht mit Gewalt, sondern mit Gehirn – und Sitzfleisch.

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