: Zweierlei Maß
Nicht gegendarstellungsfähig: Jony Eisenbergs juristische Betrachtungen. Heute: Ehrenmorde
Der Generalbundesanwalt zieht die Ermittlungen gegen die Schläger an sich, die in Potsdam einen Deutschen äthiopischer Herkunft schwer verletzt haben. Das macht er – solange ich zurückdenken kann – das erste Mal in einem solchen Falle. Er lässt die Tatverdächtigen – wichtig, wichtig – mit Helikopter nach Karlsruhe fliegen und führt die Leute in diesem Zustand den Medien vor. Optische Aufmachung und Wirkung der gefesselt und geblendet abgeführten Tatverdächtigen (was macht der Mann bloß, wenn sich deren Unschuld erweist?) erinnern an Bilder aus Guantánamo. Das sollen sie auch. Der Generalbundesanwalt zeigt der internationalen Öffentlichkeit: Es gibt ihn, er sorgt für Ordnung. Und wir gewöhnen uns daran, dass uns Staatskriminelle zukünftig vorgeführt werden wie gefangene Affen.
Die Familie S. aus Berlin-Tempelhof erlebt hautnah den Mord an ihrer Ehre (Menschenwürde), der 18-jährige Mörder seiner Schwester wird die Tat sich nicht allein ausgedacht haben. Die Mehrheitsgesellschaft reagiert hart und schlägt zurück: Beim Osterspaziergang, bei privaten Treffen mit anderen Menschen werden sie gejagt. Spielt ein Lächeln um ihr Gesicht, ist es das Siegerlächeln der Mörderfamilie und nicht etwa die Freude über zwei Freisprüche von Brüdern und Kindern, die über ein Jahr lang in Untersuchungshaft saßen. Ihnen wird durch Politiker, Pfaffen, Minister, Verwaltungsverantwortliche und Medien das Recht abgesprochen, unbehelligt in Deutschland zu leben. Offen werden sie aufgefordert, das Land zu verlassen. Das Volk wird gegen diese Leute verhetzt, ihr Anspruch auf ein sicheres Leben in Deutschland wird in Abrede gestellt. Dagegen gibt es einen Paragrafen, aber von Ermittlungen gegen diese Hetzer habe ich jedoch bislang nichts lesen können.
Menschenwürde ist unteilbar. Sie gilt selbst für Gefangene des Generalbundesanwalts und unangenehme religiöse Eiferer.
Der Autor ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Berlin