: Zypries plant Super-Kronzeugenregelung
Wer der Polizei hilft, eine Straftat aufzuklären, kann seine Strafe verringern. Die Justizministerin will diese Regelung auf alle Delikte – auch Mord – ausweiten und sie erstmals in einem Gesetz festschreiben. Anwälte und Richter befürchten Missbrauch
VON CHRISTIAN RATH
Sie hat ihre Ankündigung von Anfang April wahr gemacht: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) plant eine neue Kronzeugenregelung, die tatsächlich das bisher weitreichendste derartige Instrument in Deutschland sein wird. Nach dem von Zypries vorbereiteten Gesetzentwurf, welcher der taz vorliegt, ist die Neuregelung nicht auf einzelne Deliktgruppen, wie Drogendelikte oder Terrorismus, beschränkt, sondern gilt für Straftaten aller Art.
Die von Zypries vorgeschlagene Super-Kronzeugenregelung ist als Strafzumessungsparagraf ausgestaltet. Wer bei Aufklärung und Verhinderung von erheblichen Straftaten mit der Polizei kooperiert, kann deutliche Strafnachlässe oder sogar Straffreiheit erhalten. Auch Mörder können in den Genuss der neuen Regelung kommen. Für sie ist jedoch eine Mindeststrafe von fünf Jahren vorgesehen.
So radikal sich Zypries’ Gesetzentwurf liest, in der Sache bringt er nichts völlig Neues. Wer seine Komplizen verrät, konnte schon immer mit einer milderen Strafe rechnen. Laut Strafgesetzbuch müssen die Richter das „Verhalten nach der Tat“ bei der Strafzumessung berücksichtigen. Neu ist an der geplanten Regelung, dass der Straferlass für Aufklärungshelfer ausdrücklich im Gesetz steht. Dann können Polizisten die Kronzeugenregelung einem Beschuldigten schwarz auf weiß zeigen, um ihn zur Kooperation zu überreden.
Außerdem können nur mit der geplanten Regelung die gesetzlichen Strafrahmen unterschritten werden. Bisher musste ein Räuber mindestens fünf Jahre in Haft und ein Mörder stets „lebenslänglich“ erhalten. Selbst wenn er mit der Polizei kooperierte. Künftig können für Kronzeugen deutlich mildere Strafen verhängt werden.
Die bisher bekannteste Kronzeugenregelung war 1989 für reuige Terroristen eingeführt und 1994 auf die organisierte Kriminalität ausgeweitet worden. Die Regelung hat in der Praxis wenig Wirkung gezeigt, die RAF hatte sich bald ohnehin aufgelöst. Dennoch wurde das nur befristet eingeführte Instrument alle drei Jahre verlängert – bis 1999, als Rot-Grün die Regierung übernahm. Zum Ärger konservativer Rechtspolitiker lief die Regelung einfach aus.
Schon seit 1981 gibt es eine auf den Drogenhandel begrenzte Kronzeugenregelung. Diese wurde unter Rot-Grün nicht angetastet und besteht bis heute. Sie wird in der Polizeipraxis häufig angewandt, in der Regel belasten sich aber nur Kleindealer gegenseitig. Die Verhaftung von Hintermännern oder Großdealern ist allerdings die Ausnahme. Dagegen kommt es öfters zu Falschbeschuldigungen.
Trotz der mäßigen Erfolge hatte die Justizministerin schon unter Rot-Grün versucht, die Kronzeugenregelung auf das gesamte Strafrecht auszuweiten. Der Versuch war aber trotz mehrjähriger Verhandlungen gescheitert, weil den skeptischen Grünen zu wenig Zugeständnisse in anderen kriminalpolitischen Fragen gemacht wurden. In der großen Koalition brauchte Zypries den Gesetzentwurf nur noch aus der Schublade holen.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) und der Deutsche Richterbund lehnten Zypries’ Plan umgehend ab. „Straftäter neigen ohnehin dazu, ihre Schuld auf andere abzuwälzen, um selbst einer Strafe zu entgehen“, argumentierte der DAV-Vorsitzende Hartmut Kilger. Bei der von Zypries geplanten Reform soll Missbrauch allerdings gezielt verhindert werden. Die Kronzeugen sollen sich vor Beginn der mündlichen Verhandlung offenbaren, damit ihre Angaben von der Polizei noch überprüft werden können. Außerdem sollen die Strafen für Falschaussagen von Kronzeugen erhöht werden.