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Archiv-Artikel

Konzerne auf Beutezug

WELTHANDEL Europa und USA verhandeln ein neues Handelsabkommen, in dem Sonderrechte für Investoren festgeschrieben werden sollen. Ein Unding

Pia Eberhardt

■ ist Mitarbeiterin der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory (www.corporateeurope.org).

Im Oktober 1998 schien die noch junge globalisierungskritische Bewegung allen Grund zum Jubeln zu haben: Der französische Premier Lionel Jospin verkündete da nämlich aus Angst um die französische Kulturpolitik den Ausstieg aus den Geheimverhandlungen über das Multilaterale Abkommen über Investitionen, das allgemein mit MAI abgekürzt wird.

Die neoliberale „Verfassung der Vereinigten Weltwirtschaft“, wie der damalige Chef der Welthandelsorganisation, Renato Ruggiero, das MAI genannt hatte, war damit vom Tisch. Doch vielleicht haben wir uns damals zu früh gefreut.

Zum Beispiel Vattenfall

Weltweit gibt es inzwischen nämlich über 3.000 internationale Investitionsabkommen, die ausländischen Investoren ähnliche Rechte einräumen wie damals das MAI. Sie ermöglichen es Konzernen, Staaten unmittelbar vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen – wegen jeder politischen Entscheidung, die ihre Eigentumstitel und die erwarteten Gewinne aus ihren Investitionen bedroht.

So verklagt Vattenfall derzeit Deutschland, weil dem Energiekonzern der Atomausstieg nicht passt. In Australien und Uruguay geht Philip Morris gegen Warnhinweise auf Zigarettenpackungen vor. Der kanadische Öl- und Gaskonzern Lone Pine verklagt über eine US-Niederlassung seine eigene Regierung, weil die Provinz Quebec aufgrund massiver Umweltrisiken ein Moratorium für die als Fracking bekannte Bohrtechnik erlassen hat.

Die Klagen werden vor internationalen Schiedsgerichten verhandelt. Sie orientieren sich an den umfassenden Eigentumsrechten im Investitionsrecht – und nicht etwa an der Sozialpflichtigkeit des Eigentums oder dem Schutz des öffentlichen Interesses.

EU und USA wollen solche Klagen nun auch über ihr geplantes Handelsabkommen erlauben. Die Gefahren für öffentliche Haushalte und demokratische Politik liegen auf der Hand: Investorenklagen können Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe nach sich ziehen – so will Vattenfall beispielsweise 3,7 Milliarden Euro Schadenersatz. Gewinneinbußen einzelner Unternehmen infolge politischer Reformen werden an die Steuerzahler der jeweiligen Länder weitergereicht. Zudem gibt es weltweit Beispiele von geplanten Regulierungen, die allein aufgrund der Androhung einer teuren Klage verwässert wurden oder ganz in der Schublade verschwanden.

Investor-Staat-Klagerechte geben ausländischen Investoren – und nur diesen – also eine privilegierte Stellung im Politikprozess und können politische Gestaltungsräume empfindlich einschränken.

Angriff auf Arbeitnehmerrechte

Im Fall des transatlantischen Handelsabkommens bergen die Sonderklagerechte für Investoren unkalkulierbare Risiken. Schon heute kommt über die Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen in den USA und in der EU von der anderen Seite des Atlantiks. Es gibt zigtausend Niederlassungen US-amerikanischer Konzerne in Europa und vice versa. Investor-Staat-Klagerechte in einem EU-US-Abkommen würden diesen Konzernen ermöglichen, über Filialen im Ausland auch gegen ihre eigene Regierung vorzugehen. Und die jeweils progressivere Gesetzgebung zum Gesundheits-, Umwelt- oder Arbeitsschutz anzugreifen – egal, auf welcher Seite des Atlantiks.

Doch die Relevanz der geplanten Investorenrechte im transatlantischen Abkommen geht über Europa und die USA hinaus. Lobbygruppen wie die American Chamber of Commerce und der europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope erhoffen sich einen „Goldstandard“ für das internationale Investitionsrecht – einen Modellvertrag für den Rest der Welt, der vielleicht den Weg zu einem globalen Abkommen ebnet.

Das wäre ein herber Schlag für den Widerstand, der sich weltweit gegen das internationale Investitionsregime regt: soziale Bewegungen skandalisieren erfolgreich einzelne Klagen; kritische WissenschaftlerInnen kritisieren die Risiken des Systems; und Staaten wie Bolivien, Ecuador, Venezuela und Südafrika haben sich zuletzt von Teilen des Regimes abgewandt, in dem sie Investitionsabkommen aufgekündigt haben. Sogar der Internationale Währungsfonds warnt inzwischen davor, dass Investitionsabkommen Staaten bei der Bekämpfung von Wirtschafts- und Finanzkrisen stark einschränken können.

Die Gefahr ist, dass Konzerne mithilfe von Schadenersatzklagen Gesetze verhindern, die die Verbraucher schützen

Der Widerstand wächst

Mit „moderneren“ Investorenrechten wollen EU und USA diese Bedenken zerstreuen und das kriselnde System re-legitimieren. So sollen Investor-Staat-Klagen unter dem zukünftigen EU-US-Abkommen transparent ablaufen. Und die Interessenkonflikte der SchiedsrichterInnen, die diese Klagen entscheiden, sollen angegangen werden. Der Kern des Investitionsrechts bliebe aber unangetastet: weitreichende Eigentumsrechte für ausländische Investoren und Sonderklagerechte vor internationalen Schiedsgerichten.

Doch noch ist es nicht so weit. Die EU-US-Verhandlungen stehen erst am Anfang. Und der Widerstand gegen die exzessiven Investorenrechte wächst. Ob Umweltorganisationen, OnlineaktivistInnen, Gewerkschaften oder VerbraucherInnenschutzorganisationen – der Teil der Zivilgesellschaft, der sich kritisch mit dem geplanten Abkommen auseinandersetzt, hat sich ausnahmslos gegen Investor-Staat-Klagerechte ausgesprochen, auf beiden Seiten des Atlantiks. Europaabgeordnete von SPD, Grünen und der Linken sind ebenfalls dagegen. Und selbst die Bundesregierung, sonst eine Verfechterin von Investor-Staat-Klagerechten, hat sich im Falle der EU-US-Verhandlungen dagegen ausgesprochen.

Es gibt daher noch Chancen, das geplante Handelsabkommen und das Kapitel zum Investitionsschutz als das zu entlarven, was es ist: eine antidemokratische neoliberale Zwangsjacke. Vor 15 Jahren hat diese „Dracula-Strategie“ zum Erfolg geführt: Einem Vampir gleich überlebte der weitgehend unbekannte MAI-Vertrag nicht lange, als er ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde. Gewerkschaften, soziale Bewegungen und PolitikerInnen, denen etwas an unserer Demokratie liegt, sollten alles daran setzen, dass sich dieser Teil der Geschichte wiederholt. PIA EBERHARDT