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Archiv-Artikel

Freundliche Sicht auf die Jahre des Terrors

SOWJETISCHE INTELLIGENZ Elisabeth Markstein übersetzte die Werke sowjetischer Dissidenten wie Alexander Solschenizyn ins Deutsche. Nun hat die 81-Jährige ihre Biografie vorgelegt

Die sowjetisch sozialisierte Intellektuellen sterben langsam aus – ihre Werke werden im Westen immer seltener veröffentlicht oder gar nicht mehr. So beispielsweise die Autobiografie von Jewgenia Kazewa „Meine persönliche Kriegsbeute“. Die mit Jiddisch aufgewachsene Ukrainerin war ab 1945 Kulturoffizierin in Berlin und ihre „Beute“ bestand darin, dass sie dabei so gut Deutsch lernte, dass sie später als selbständige Übersetzerin die Werke von Kafka, Böll und Frisch ins Russische übertrug. Eigentlich wollte der Steidl-Verlag ihre noch zu Sowjetzeiten von Günter Grass angeregte Autobiografie veröffentlichen. Nach dessen Absage trug der ehemalige DDR-Kulturminister Klaus Höpcke ihr Manuskript zum Eulenspiegel-Verlag. Von dort aus gelangte es in die Hände der Westberliner Slawistin Cornelia Koester, die es für den Ostberliner Dissidenten-Verlag „Basisdruck“ bearbeitete. Und da liegt es nun auf Halde.

Mehr Glück hatte die Übersetzerin Elisabeth Markstein. Ihre Autobiografie „Moskau ist viel schöner als Paris“ veröffentlichte gerade der Wiener Milena-Verlag. Die ebenso wie Jewgenia Kazewa in den 1920er-Jahren geborene Autorin wuchs in Moskau – im Hotel „Lux“ – auf, ihre Eltern arbeiteten für die Komintern. 1945 kehrte die Familie nach Wien zurück, die Autorin studierte später Slawistik in Moskau, lehrte dann an der Universität von Texas russische Literatur und übersetzte die Werke sowjetischer Dissidenten – u. a. Alexander Solschenizyn, General Grigorenko und Wassilij Grossman – ins Deutsche.

Sie lernte dabei u. a. Heinrich Böll und Lew Kopelew kennen und verkehrte bald von Wien aus in denselben Literatenkreisen wie Jewgenia Kazewa von Moskau aus. Daneben blieb sie in engem Kontakt zu ihren russischen Klassenkameradinnen von einst, mitunter erledigte sie in Moskau auch kleinere Kurierdienste für den literarischen Untergrund.

Skifahren mit den Ulbrichts

Ihre freundliche Sicht auf die „Jahres des Großen Terrors“ in Moskau verdankt sich dem glücklichen Zufall, dass ihre Eltern nicht der Repression ausgesetzt waren und sie ihre Jugend in der Prominenten-Datschensiedlung Kunzewo verbrachte. Walter und Lotte Ulbricht brachten ihr dort das Skifahren bei. Als der Krieg ausbrach, wurde ihre Familie in das ehemalige Adelsnest Sacharjino evakuiert. In ihrem Leben traf sie so viele berühmte Kommunisten, dass ihr Verlag dem Buch ein Namensverzeichnis anhängte. So gehörten beispielsweise Tanja und Vlad Pauker zu den „Hauptakteuren“ ihrer „frühen Jugend“. Elisabeth Markstein schreibt: „Ich möchte lieber gar nicht wissen, wie sehr ihre Mutter Anna, die nach ihrer Rückkehr rumänische Außenministerin wurde, an den Verfolgungen von Unwilligen und Sozialismus-Skeptikern mitgewirkt hat …“

Für eine humanistisch gebildete Kommunistin mit einem Trotzkisten als Bruder, die Dolmetscherin für Chruschtschow war und dann auch noch Solschenizyn-Übersetzerin sowie Betreuerin von Brodski und Aksjonow im Westen, ist das eine mehr als seltsame Lebenseinstellung: Etwas „lieber gar nicht wissen zu wollen“ – zumal es fatal dem deutschen Nachkriegs-Credo ähnelt: „Wir haben von nichts gewusst!“ Auch Elisabeth Markstein reduzierte das Kollektivdenken bald auf ihre eigene Kleinfamilie: „Das Ende vom Wir“ kam für sie nach den (wunderbaren) Siegesfeiern am 9. Mai in Moskau und der Rückreise nach Wien, wo ihr Vater zum Vorsitzenden der KPÖ gewählt wurde. Ein „Stalinist“, der sich erst 1968, im Jahre seines Todes, zu einer Protestnote gegen den Einmarsch der Roten Armee in Prag durchrang, was seine Tochter nun erleichtert vermerkt.

HELMUT HÖGE

Elisabeth Markstein: „Moskau ist viel schöner als Paris. Leben zwischen zwei Welten“. Milena-Verlag, Wien 2010. 178 Seiten, 17,90 Euro